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Berlin: Behindertensport: Medaillen für den Motor

In der Vitrine der Schrankwand funkeln eine Gold- und zwei Silbermedaillen. Ansonsten ist das riesige Kiefernholz-Gebilde fast leer, Michaela Fuchs ist erst vor kurzem in die Rudower Neubauwohnung gezogen.

In der Vitrine der Schrankwand funkeln eine Gold- und zwei Silbermedaillen. Ansonsten ist das riesige Kiefernholz-Gebilde fast leer, Michaela Fuchs ist erst vor kurzem in die Rudower Neubauwohnung gezogen. Die Medaillen hat sich die 31-jährige Radsportlerin in Sydney erkämpft, bei den Paralympics - den Olympischen Spielen für Behinderte. Michaela Fuchs hat die Erbkrankheit Albinismus und ist fast blind. "Stark sehbehindert" heißt das, wenn man wie sie nur noch eine Sehkraft von 2,5 Prozent hat. "Ich sehe nur sehr unscharf, und zwar weder Gesichter noch andere Merkmale", beschreibt sie es, "dafür reagiere ich auf Farben und Kontraste und bei Menschen auf ihre Ausstrahlung und ihre Körperhaltung."

Jan Ratzke, mit dem sie auf dem Tandem in Sydney so erfolgreich war, ist nicht behindert. "Jan ist eine Art Pilot, ich bin so etwas wie der Motor. Aber beide sind gleich wichtig, um erfolgreich zu sein, denn wir sind ein Team", betont sie. Von allen deutschen Teilnehmern hat Michaela Fuchs bei den Paralympics sogar am besten abgeschlossen und durfte deshalb bei der Abschlussfeier die Fahne tragen. "Es ist schon gigantisch. Man kann das gar nicht beschreiben", sagt sie, "für mich ist das die höchste Ehre, für das eigene Land die Fahne zu tragen." In der Zeit nach den Paralympics ballten sich für die Radsportlerin die Termine. "Ich bin von einem Empfang zum nächsten eingeladen worden und musste ständig Interviews geben." Doch schon bald, da ist sie sich sicher, seien die Behindertensportler wieder uninteressant für die Medien. Einen Vorgeschmack darauf hat Michaela Fuchs schon bei der ARD-Show "Sportler des Jahres" bekommen. "Die Paralympics wurden mit keinem Wort erwähnt. Wir Behinderte saßen alle in einem Block im Studio, es war total kalt in unserer Ecke, und die Kamera versperrte uns die Sicht", erzählt sie verärgert. Diese "Diskriminierung" zeige sich auch im Status der Sportler. "Ich bin immer noch nur eine Freizeitsportlerin", sagt sie, "weil uns im Gegensatz zu den nicht behinderten Athleten die Sponsoren fehlen, können wir keine Berufssportler sein."

Dabei wollte sich Michaela Fuchs nie in die Behinderten-Ecke abschieben lassen. Geboren und aufgewachsen im Schwarzwald, besuchte sie zunächst ein Internat für Sehbehinderte und Blinde. Dort machte sie ihren Hauptschulabschluss, doch ihr Traum war das Abitur. "Mit 16 Jahren wollte ich raus in die Welt der Nicht-Behinderten." Auf einer "normalen" Schule absolvierte sie die mittlere Reife, bewarb sich dann an drei baden-württembergischen Schulen, um das Abitur nachzumachen. "Alle haben mich abgelehnt wegen meiner Behinderung."

Sie entschloss sich, eine Ausbildung als Erzieherin zu beginnen, meisterte die theoretischen Anforderungen wie auch die praktische Ausbildung in einem Kindergarten problemlos. Hinterher wurde sie dort sogar übernommen. Zu den Kleinen habe sie ein besonders gutes Verhältnis gehabt, doch die Kollegen hätten sie gemobbt. "Die haben gegen mich intrigiert und wollten mich fertig machen." So kam es ihr gut zupass, als eine Freundin aus Berlin von den vielen Schulen dort erzählte, an denen man das Abitur nachmachen kann. Der Direktor des Charlotte-Wolff-Kollegs in Charlottenburg sei zunächst skeptisch gewesen. Michaela Fuchs habe ihm dann erklärt, dass es auf einen Versuch ankäme. Durch eine spezielle Brille kann sie sogar die Schrift an der Tafel lesen. Arbeitspapiere müssen nur extrem groß kopiert werden, ansonsten hat sie zu Hause auch ein Fernseh-Lesegerät, mit dem Gedrucktes vergrößert auf einen Monitor projiziert wird.

Michaela Fuchs konnte den Schuldirektor überzeugen, zog nach Berlin und erfüllte sich nach dreieinhalb Jahren Paukerei den Traum vom Abitur. Und das, obwohl sie jeden Tag trainieren musste. "In der Wohnung auf meinem Rennrad mit Standrolle und zusätzlich im Kraftraum." Nach dem Abi nahm sie "eine "Aus-Zeit", um sich auf die Paralympics vorzubereiten. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer "Patenfamilie", die sie in ihrer neuen Heimat Berlin gefunden hat, aber auch von Freunden. "Freunde zu haben, auf die man sich verlassen kann, ist für Behinderte ganz besonders wichtig", erzählt sie, "ich brauche jemanden, der mit mir neue, unbekannte Wege abgeht, mich mit dem Auto dorthin fahren kann, wo ich sonst nicht hinkomme."

Im Februar beginnt sie eine zweite Ausbildung als Heilpädagogin - noch ein Traum. Ihr Leben lang von Saint-Exupérys "Kleinem Prinzen" begleitet, hält sich Michaela Fuchs dabei an den Spruch des Fuchses, der zum kleinen Prinzen sagt: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

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