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27.01.2023, Berlin: Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU, spricht bei einem Wahlkampf-Bürgertreffen im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt im Bezirk Neukölln. Foto: Monika Skolimowska/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa / Monika Skolimowska

„Manipulation durch Ausschnitte“: Merz lobt bei Besuch in Neukölln Migranten – und kritisiert Medien

Nach seinen „Pascha“-Aussagen im TV besucht der CDU-Chef Berlin-Neukölln. Bei dem Auftritt steht das Lob für Migrationserfolge im Vordergrund.

Das möchte Friedrich Merz nicht so stehen lassen. Die Debatte um seine Pascha-Aussagen in einer TV-Show bewegt den CDU-Chef hörbar. Merz steht auf der Bühne des Gemeinschaftshauses Gropiusstadt in Berlin-Neukölln, er schaut kurz in die Menge vor sich, dann sagt er: „Ich habe vier-, fünfmal gesagt, dass wir einen sensationellen Integrationserfolg haben.“ Das sei alles ausgeblendet worden. „Das ist Manipulation durch Ausschnitte – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“ Der CDU-Chef fühlt sich offensichtlich missverstanden.

Seit der Silvesternacht gibt es in Deutschland eine Debatte über Gewalt von Migranten, über Integration, aber auch über Rassismus. Die CDU hatte in Berlin die Vornamen der tatverdächtigen deutschen Jugendlichen aus der Nacht erfragt, um zu belegen, dass sie einen Migrationshintergrund haben.

Merz selbst hatte Söhne von Migranten bei „Markus Lanz“ als „kleine Paschas“ bezeichnet. Hier in Neukölln, wo zu Silvester einer der Hotspots der Gewalt lag, will die CDU diskutieren. Das Motto: Brennpunkt Neukölln. Die Frage: Wie lassen sich solche Ausschreitungen künftig verhindern, wie soll die Polizei gestärkt werden?

Rings um den Betonbau des Gemeinschaftshauses türmen sich die Wohnungen in den Berliner Abendhimmel hinauf. Weiß getünchte Plattenbautürme, teils mehr als 20 Etagen hoch. Die Hälfte der Menschen, die hier leben, hat einen Migrationshintergrund. Im Publikum sind von ihnen an diesem Abend nur wenige. Die meisten sind zumindest dem Anschein nach CDU-Mitglieder mit deutschen Vorfahren. „Biodeutsche“, wie es Friedrich Merz formuliert.

Dieser eine Merz-Moment, der Ausrutscher

Merz betont an diesem Abend vor allem die Erfolge von Integration, spricht über eine Aktion von migrantischen Neuköllner Gastronomen. Auf der Sonnenallee hatten sie ihre Lokale für Polizisten und Feuerwehrleute geöffnet, gaben ihnen ihr Essen für einen symbolischen Euro. „Ich hätte mir über diese Aktion dieselbe Medienberichterstattung gewünscht wie über die Silvesternacht“, sagt Merz.

Applaus. Diese Menschen, selbst mit ausländischen Vorfahren, schämten sich teils mehr als andere für die Vorkommnisse in der Silvesternacht, ergänzt der CDU-Bundeschef dann.

Berlins Regierende Bürgermeisterin hatte den Termin in Neukölln in ungewöhnlicher Drastik kritisiert: „Erst die schrecklichen Ereignisse an Silvester instrumentalisieren, dann die Menschen in Berlin nach Vornamen in Schubladen stecken wollen und jetzt ausgerechnet in Neukölln einen Wahlkampftermin inszenieren“, schrieb die SPD-Politikerin auf Twitter. „Die Masche ist bekannt: Erst spalten und hetzen, dann wieder relativieren“, schrieb die SPD-Politikerin.

Das wollte man an diesem Abend nicht so stehen lassen. Kai Wegner, CDU-Spitzenkandidat für die Berliner Wiederholungswahl, sagte zu Beginn der Veranstaltung: „Wenn eine Regierende Bürgermeisterin sich zu einer Parteiveranstaltung äußert, weiß ich nicht, ob das dem Amt gerecht wird.“

Giffey trage jahrelange Verantwortung in Neukölln, im Bund und jetzt in Berlin. „Was ist passiert? Nichts!“, sagte Wegner. Stattdessen würden die Gründe der Gewalt in der Stadt verschwiegen. Anders, betont der CDU-Mann, als es die sozialdemokratische Bundesinnenministerin tue, die die Gewalt „migrantischer junger Männer“ benannt habe.

Wegner sagte: „Das war nicht nur Silvester! Wir haben in Berlin ein Gewaltproblem, 365 Tage im Jahr. Wir haben ein Gewaltproblem von rechts, von links und von jungen Männern mit Migrationshintergrund.“

Merz äußerte sich später ähnlich. Er sagte: „Man löst Probleme nicht, indem man sie verschweigt. Wir müssen die Ursachen möglichst schnell beseitigen, um die vielen Integrationserfolge nicht zu überdecken.“ Der Bundeschef ist an diesem Abend hörbar um Sachlichkeit bemüht, spricht ohne jede Polemik.

Und doch, es gab diesen einen Merz-Moment, den Ausrutscher. Hörbar bewegt sprach er anfangs von der Veranstaltung zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz im Deutschen Bundestag. Die Holocaustüberlebende Rozette Kats hatte dort über ihr Überleben berichtet. Merz sprach dann über die Wichtigkeit der Aufarbeitung.

„Wenn man das hört, ist man stolz auf Deutschland“, sagt er irgendwann unvermittelt. Er meint damit wohl die Erinnerungskultur in Deutschland. Doch das Wort „Stolz“ gerade an diesem Tag, das löst auch fast 80 Jahre nach Kriegsende noch ein ungutes Gefühl aus. Einige Zuhörer von der SPD nutzen den Moment, verlassen unter Protest den Raum. Kurzes Gerangel am Eingang, sonst bleibt es ruhig an diesem Abend.

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