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Berlin: Die Berlinerin: Schnoddrig, bodenständig, aber gemütlich

Überwiegend ist dies ein Bilderbuch, und das ist wahrscheinlich ganz gut so. Denn mit Worten die Berlinerin einfangen zu wollen, bleibt ein schwieriges Unterfangen.

Überwiegend ist dies ein Bilderbuch, und das ist wahrscheinlich ganz gut so. Denn mit Worten die Berlinerin einfangen zu wollen, bleibt ein schwieriges Unterfangen. Wie Stolperfallen lauern Klischees hinter jedem Grashalm am Wegesrand der Beschreibung. Lange Fotostrecken also, besonders beeindruckend, weil besonders kunstvoll die von Nelly Rau-Häring unter dem Titel "Gemeinsamkeiten". Renate von Mangoldt hat "die Schreibenden" ins Licht gesetzt und Roger Melis "die Selbstbewussten", wobei unter den Selbstbewussten auch etliche Schreibende sind, unter anderem einige Autorinnen dieses Buches wie Monika Maron, Liane Billerbeck, Kerstin Decker und Katja Lange-Müller.

Wenn man Bilder mit Texten kontrastiert, fällt einem auf, dass in den Bildern nicht so viel vom Fotografierten steckt wie in den Texten vom Autor. Ein wunderbares Beispiel für die Projektion der eigenen schönen Seele auf das Objekt des Textes ist Moritz Rinkes Ode an die Käsethekenverkäuferin; das ist Worpswede pur, da klingt jede (zitierte?) Supermarkt-Schnoddrigkeit total elegisch.

Aber vielleicht findet man die Wirklichkeit ja am ehesten, wenn man sich möglichst weit davon entfernt. Dass die Berlinerin direkt ist und klar, manchmal bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus, dass sie ein großes Herz hat, welches sie unter weiten Pullovern versteckt, dass ein romantischer Jüngling dennoch mit eiskalten Duschen rechnen muss, dass sie Berlinerin im Laufe der Geschichte gelegentlich wider Willen war, dass sie schlagfertig ist und dass man bei ihr, wenn nichts sonst, jedenfalls weiß, wo man dran ist, das alles hat man eigentlich schon oft gelesen und liest es hier gern wieder. Es sind ja auch nicht alles originäre Texte, vielen ist man schon mal irgendwo anders über den Weg gelaufen und trifft sie nun wieder wie gute, alte Bekannte in neuem Kontext.

Ein Aspekt, der neben der viel gerühmten, schnoddrig-patenten Bodenständigkeit im Leben und sich Geben der Berlinerin eine ziemlich große Rolle spielt, fällt allerdings fast völlig durch den Buchdeckel: ihre weit vorgreifende Kreativität, resultierend wohl aus der Notwendigkeit, sich dauernd zu verändern, inzwischen sagt man eher, sich neu zu erfinden; dieses besondere Temperament, das geprägt ist vom Rhythmus rastloser Schnelllebigkeit. Am ehesten schimmert das durch in Alexander Smoltczyks Stück über "Johanna, die Kryptoromantikerin" aus der Charité, die in New York zur Malerin reift und zur hartherzigen Businesswoman verkommt. Warum sollte das aber nicht auch in Berlin passieren? Die "neuen Berlinerinnen sind die Hoffnungsträgerinnen für alle Frauen" stellt Eva Windmöller am Ende fest, weil sie so unangepasst seien und so schlagfertig. Das waren frühere Generationen von Berlinerinnen in Relation zu den Geschlechtsgenossinnen draußen im Lande aber doch auch.

Allerdings waren die Berlinerinnen voneinander nie so lange getrennt, wie in den Mauerjahren, unterschiedliche Sozialisation eingeschlossen. Die Frauen im Osten konnten dabei alles Patente, das in ihnen steckte, bis zur Perfektion kultivieren, die Frauen im Westen, alles Exotische (Unangepasste) bis zum Exzess ausleben.

Und damit sind wir auch schon bei einem der Defizite des Buches angelangt. Auch im Jahr Zehn der Einheit kann man nicht unbedingt sagen, dass alle Unterschiede schon eliminiert sind, dazu braucht es mindestens eine Generation. Unter etwa dreißig Mitwirkenden an diesem Buch kommt aber nur etwa ein Drittel aus dem Westen, und es ist fast anzunehmen, dass bei den Protagonisten das Verhältnis ähnlich ist.

Natürlich treffen wir ein paar Bekannte aus dem alten Westen wie Regina Ziegler oder Heidi Hetzer. Aber es sind zu wenige. Und das ist fast ein bisschen schade, weil der Typus der West-Berlinerin von Hanna Renate Laurien über Renate Künast bis zu Elvira Bach oder auch Sandra Pabst eine Extrafarbe hineingebracht hätte, die das Werk noch komplexer und vollständiger gemacht hätte. Die Zeit wird hoffentlich rasch kommen, in der dieser Einwand keiner mehr ist, aber gerade im Moment hätte es noch eine Chance gegeben, durch politische Umstände geformte Mentalitätsunterschiede herauszuarbeiten.

Das hätte dieses Buch jedenfalls historisch wertvoller gemacht. So bleibt es aber dennoch ein hübsches Coffeetable-Buch für Männer auf der ewigen Suche nach dem Schlüssel zum Weiblichen, aber auch für Jetztzeit-Frauen, die in der Hauptstadt aller Singles zwar oft keinen Coffeetable besitzen, aber dafür auch keine Zeit haben, viel zu lesen: Blätterwerk für den Herbst, bisschen schwer zu schleppen, aber dafür kommt es auch nicht allzu gewichtig daher.

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