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Berlin: Ein Sehhund an der Leine

"Voran!" kommandiert Roswitha Krüger.

"Voran!" kommandiert Roswitha Krüger. Der Hund bleibt stehen. Die Berliner Wasserbetriebe arbeiten an der Kanalisation und haben bis auf einen schmalen Durchgang den Bürgersteig mit rotweißem Flatterband abgesperrt. "Voran!" Die schwarze Labradorhündin gehorcht nicht. "Das hat sie prima gemacht", lobt Krüger und lässt sich von dem Hund am weißen Führgriff zur Bordsteinkante leiten. "Sie muss Befehle verweigern, die für den Blinden gefährlich sind." Roswitha Krüger ist nicht blind. Sie arbeitet als Ausbilderin an der Führhundschule "SehHund" in Köpenick. Zusammen mit drei Kollegen bildet sie zur Zeit 14 Blindenführhunde aus.

Mit Labrador Nele arbeitet sie seit einem halben Jahr. "Ich zeige dem Hund, was er tun soll und gebe ihm Hilfen über Geräusche. Ganz wichtig ist zu loben." Nele ist fast fertig ausgebildet. Die Schule hat für Nele einen kleinen, zierlichen Mann als Halter ausgesucht. Zwei Jahre war er auf der Warteliste. "Wir haben auch schon Halter abgelehnt, die falsche Erwartungen hatten. Die Blinden können nicht sagen, geh zur Drogerie und erwarten, dass der Hund sie dahin führt. Der Halter muss mitarbeiten, ansonsten ist der Blindenführhund nicht die geeignete Hilfe." Auf der Bahnhofstraße in Köpenick steuert Nele auf das Einkaufszentrum Forum zu. "Nein, voran!" mahnt Krüger. "Das liebt sie. Da ist was los, da riecht es gut drin. Das wird dem Blinden anfangs bestimmt passieren. Nele führt ihn hierher, auch wenn er gar nicht hier rein will."

Vor der Treppe zum S-Bahnhof bleibt Nele stehen. Mit leiser Stimme gibt Krüger den Befehl "such Treppe". Der Hund findet das Geländer. Oben auf dem Bahnsteig führt Nele auf Kommando zur nächsten Bank und setzt sich davor. "Da wo der Kopf hinzeigt, weiß der Blinde, ist der Sitz." Genauso zeigt Nele die Griffe der S-Bahntür an. Krüger steigt ein, setzt sich.

33 000 Mark kostet ein ausgebildeter Hund. Das übernehmen die Krankenkassen - zum Teil. Die Kosten der Gespannprüfung zum Abschluss der Ausbildung zahlen nur ganz wenige Kassen. "Jeder Schäfer kann sagen, er habe Erfahrung und schon mit Hunden gearbeitet. Überprüft wird das nicht. Für die Kassen sind solche Hunde billiger, die nicht nach Qualitätskriterien geprüft sind. Für den blinden Halter ist das lebensgefährlich." Blinde, die mit schlecht ausgebildeten Hunden nicht zurechtkommen, meldeten sich häufig nicht bei den Kassen. "Das sind dann teure Haustiere, die gehalten werden, wie jeder andere Hund auch", meint Krüger und steigt aus.

Auf dem Waldweg zur Führhundschule streift Krüger dem Hund das Geschirr ab. "Das sind keine armen Blindenhunde, wie viele meinen. Maximal arbeiten die Tiere später drei Stunden am Tag, das machen sie gerne und sie werden artgerecht gehalten." Auch für Nele ist die Arbeit getan. Sie darf jetzt den Boden beschnüffeln.

Labradorhündin Ona lebt seit anderthalb Jahren bei Dagmar Schmidt. Die Besitzerin ist eine von derzeit 40 Paten, die sich bei der Schule gemeldet hat, um einen Welpen aufzuziehen. Wenn Ona heute den Wesenstest für Blindenhunde besteht, wird sie, wie Nele, in der Zwingeranlage auf dem Gelände der Führhundschule untergebracht. Der Test geht schief, Ona erschrickt vor der Trainerin. "In dem Fall sage ich, lieber nicht weiter arbeiten." Das sagt Roswitha Krüger oft. "Die Schule kauft regelmäßig Welpen für die Ausbildung. Und nur etwa 30 Prozent sind später als Führhunde geeignet." Für Onas Patin ist das eine gute Nachricht. Jetzt kann sie den Hund kaufen und muss ihn nicht abgeben.

Jutta Reckschmidt

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