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Pro-palästinensische Demonstranten vor dem Finale des Eurovision Song Contest in Malmö.

© dpa/Martin Meissner

Der ESC und seine Folgen: Die Situation für jüdische Menschen in Europa ist fragil

Jüdisches Leben kann in Europa nur unter massivem Schutz stattfinden. Der Eurovision Song Contest hat es gezeigt. Er hat aber auch ein Signal der Hoffnung gesetzt. Trotz allem.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Zwei Gesichter hat Europa in diesen Tagen gezeigt. Vergangene Woche bekam Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz, den Internationalen Karlspreis verliehen. Der Preis würdigt Beiträge zur Verständigung in Europa. Und die diesjährige Auszeichnung sollte ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus.

Goldschmidt betonte in seiner Dankesrede, dass der Preis für ihn persönlich, aber auch für die vielen jüdischen Gemeinschaften in Europa, eine „Ermutigung in einer herausfordernden Zeit“ sei. Der Wunsch, dass jüdisches Leben in Europa selbstverständlich dazu gehöre und für Antisemitismus kein Platz sei, klinge „märchenhaft“ hat der Rabbiner gesagt. „Leider ist das Gegenteil der Fall. Jüdisches Leben ist eben nicht selbstverständlich, und in Europa ist viel Platz für Antisemitismus.“

Und wie zum Beweis präsentierte Europa nur wenige Stunden später seine andere Seite. Denn das, was rund um den ESC, den europäischen Gesangswettbewerb, passierte, ist beschämend. Und man kann Eden Golan nur großen Respekt zollen.

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Die gerade einmal 20-jährige israelische Sängerin machte beim ESC im schwedischen Malmö eine harte Zeit durch. Sie konnte sich nicht frei bewegen, sondern war gezwungen, im Hotel zu bleiben, schwer bewacht. Man muss es so sagen: Sie konnte sich ihrer körperlichen Unversehrtheit mitten in Europa nicht sicher sein.

Greta Thunberg wird immer mehr zur Symbolfigur eines in Teilen antisemitischen Protests

Tausende demonstrierten gegen ihre Teilnahme am ESC, weil sie für ein Land angetreten ist, dem viele einen Völkermord vorwerfen. Manche gar einen Genozid. Dabei skandierten viele genau das in Bezug auf Israel – nämlich die Auslöschung des Staates Israel. Diese Binnenspannung interessiert aber die wenigsten.

Die Sängerin kämpfte sich tapfer durch den Wettbewerb. Sie trotzte den Buhrufen in der Halle und den Protesten davor. In vorderster Reihe bei den Demonstrationen wieder dabei eine andere junge Frau: die ehemalige Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie wird immer mehr zum Symbol einer in vielen Teilen auch antisemitischen Protestbewegung.

In Deutschland verstieg sich der Moderator der Liveübertragung dazu, die Propaganda der Demonstranten 1:1 wiederzugeben, indem er Israel auf eine Stufe mit Russland und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine stellte. Es mag unbewusst gewesen sein, unüberlegt und geblendet vom Glitzer der Show. Aber dass es hier Unterschiede gibt, hätte man erwähnen müssen.

Am Ende, ja, ist es nur ein Gesangswettbewerb. Aber er war eben auch Ausdruck dafür, wie fragil die Lage für Jüdinnen und Juden gerade in Europa ist. Überall gibt es Proteste, bei einem Gesangswettbewerb genauso wie an Universitäten. Und die richten sich eben nicht nur gegen die israelische Regierung und ihre Politik. Es geht nicht nur um den Einsatz in Gaza, der viel Leid auf Seiten der Palästinenser hervorruft, was auch von Israelis kritisiert wird. Es geht mittlerweile weit darüber hinaus mit den Forderungen, Israel auszulöschen.

Viele jüdische Menschen fühlen sich deshalb wieder bedroht in Europa. Jüdisches Leben ist oft nur unter massivem Schutz möglich. Das ist eine dramatische Entwicklung.

Sollte man deshalb die Proteste unterbinden? Bis zu einem gewissen Grad nicht. Denn auch wenn es schwerfällt, manches unerträglich ist, der Wert eines freien Europas ist es auch, dass diese Proteste möglich sind. Anders als in Gaza. Dort wäre unter der Hamas weder eine bunte, schrille Gesangsshow mit vielen queeren Teilnehmerinnen und Teilnehmern und Fans möglich, noch massenhafte politische Proteste.

Eine Grenze sollte aber dann gezogen werden, wenn sich eine israelische Sängerin nicht mehr in Europa sicher fühlt. Wenn sich ganze Bevölkerungsgruppen nicht mehr sicher fühlen. Dass es Menschen gibt, die sich dafür starkmachen, dass diese Grenze nicht überschritten wird, hat der ESC am Ende bei all dem Beschämenden auch gezeigt: Israel bekam vom europäischen Publikum die zweitmeisten Stimmen. Es mag kein politisches Zeichen gewesen sein, weil Eden Golan auch einfach hervorragend gesungen hat. Aber ein Symbol der Solidarität war es dennoch. Ein dringend notwendiges.

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