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Palästinenser inspizieren die massive Zerstörung des Hauses einer Familie nach der Bombardierung durch israelische Kampfflugzeuge.

© dpa/Abed Rahim Khatib

Wiederaufbau könnte 80 Jahre dauern: „Im Gazastreifen liegt mehr Schutt als in der Ukraine“

Die Vereinten Nationen haben die Zerstörung im Gazastreifen analysiert. In den Trümmern liegen Blindgänger und Asbest. Die Lieferung neuer Baumaterialien dürfte lange dauern.

Die Zerstörung im Gazastreifen ist größer als in der Ukraine: Sieben Monate nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas schätzen die Vereinten Nationen die Menge an Trümmern auf 37 Millionen Tonnen. „Im Gazastreifen liegt mehr Schutt als in der Ukraine“, sagte Mungo Birch, Leiter des UN-Minenräumdienstes (Unmas), am Mittwoch vor Journalisten in Genf. Dabei sei der Gazastreifen nur 40 Kilometer lang und die Front in der Ukraine fast 1000 Kilometer.

Doch die riesige Menge an Trümmern ist nicht das einzige Problem: Unter dem Schutt befinden sich laut Unmas viele Blindgänger. „Nicht explodierte Munition erschwert die Beseitigung“, sagte Birch. Allgemeinen Schätzungen zufolge explodieren bei Kämpfen zehn bis 15 Prozent der abgefeuerten Geschosse nicht – eine langfristige Gefahr für die Zivilbevölkerung.

Auch Asbest macht die Räumung komplizierter. „Wir schätzen, dass sich in den Trümmern mehr als 800.000 Tonnen Asbest befinden“, sagte Birch. Die Mineralfaser ist krebserregend und für den Umgang damit sind besondere Vorsichtsmaßnahmen notwendig.

Der UN-Minenräumdienst hofft, mit eigenen Teams die Sprengsätze im Gazastreifen entschärfen zu können. „Aber wir befinden uns noch in der Planungsphase“, sagte Birch. Fünf Millionen Dollar (4,7 Millionen Euro) habe Unmas für die Entschärfung bereits bekommen.

„Aber um die Arbeit in den nächsten zwölf Monaten fortsetzen zu können, brauchen wir weitere 40 Millionen Dollar.“ Für die Räumung des gesamten Schutts seien über Jahre hunderte Millionen Dollar nötig.

100 Lastwagen würden 14 Jahre für die Räumung brauchen

Für die Planung, wie der Gazastreifen von den enormen Schuttbergen befreit werden kann, trafen sich die Hauptakteure vor zwei Wochen in der jordanischen Hauptstadt Amman. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) koordiniert die Räumung. „Das Problem ist, dass die Masse an Trümmern beispiellos ist. Wir werden neue Ideen entwickeln müssen, wie wir bei der Räumung vorgehen“, sagte Birch.

65 Prozent der zerstörten Gebäude im Gazastreifen sind laut Unmas Wohnhäuser. 100 Lastwagen würden 14 Jahre brauchen, um all den Schutt zu beseitigen.

Als ähnlich zeitaufwendig schätzen die Vereinten Nationen den Wiederaufbau der zerstörten Häuser nach dem Krieg ein. Dieser könnte sich nach UN-Experteneinschätzung bis ins nächste Jahrhundert hinziehen. Es werde etwa 80 Jahre dauern, um alle vollständig zerstörten Wohneinheiten wieder aufzubauen, wenn es in dem vergleichbaren Tempo früherer Konflikte gehe, heißt es in einem Bericht des UN-Entwicklungsprogramms. Im besten Fall, wenn Baumaterialien fünfmal so schnell geliefert würden wie im Krisenjahr 2021, könnte der Wiederaufbau bis 2040 klappen.

Die UN-Behörde warnt zudem vor weiteren schweren Folgen des Krieges für die Bevölkerung in dem Palästinenser-Gebiet. „Ein noch nie dagewesenes Ausmaß an menschlichen Verlusten, Zerstörung und der steile Anstieg der Armut in einem so kurzen Zeitraum wird eine ernste Entwicklungskrise auslösen, die die Zukunft der kommenden Generationen gefährdet“, sagt UNDP-Chef Achim Steiner.

Sollte der seit rund sieben Monaten wütende Krieg noch zwei weitere Monate andauern, werde der Anteil der von Armut betroffenen Menschen im Gazastreifen von 38,8 Prozent der Bevölkerung Ende 2023 auf 60,7 Prozent steigen. Dies würde einen großen Teil der Mittelschicht unter die Armutsgrenze drücken.

Noch dauern die Kämpfe an und auch für die UN-Mitarbeiter ist es schwer, sich im Gazastreifen ein genaues Bild vom Ausmaß der Zerstörung und der Menge an Blindgängern zu machen. „Einzelne Berichte deuten darauf hin, dass es im Norden besonders schlimm ist“, sagte UN-Minenräumer Birch. „Das wird lange ein großes Problem bleiben.“ (AFP, Reuters)

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