zum Hauptinhalt
Wahlschweizer. Die Mitglieder des Alte-Musik-Ensembles „Profeti della Quinta“.

© Susanna Drescher

Nicht-EU-Musiker vor Abschiebung aus der Schweiz: Applaus reicht nicht aus

Basel ist das wichtigste Zentrum für Alte Musik in Europa. Doch nun sollen Nicht-EU-Musiker ausgewiesen werden - weil sie keine Festanstellung haben.

80 Franken hat der Klotz gekostet. Eine kleine Gruppe hockt ums Lagerfeuer und schaut zu, wie Johannes den Raclettekäse in Position bringt. Eigentlich ein Sommergericht, erklärt der Schweizer. Das Ensemble „Il Profondo“ hat zum Jahreswechsel in sein Studio eingeladen. Die meisten hier sind Musiker Anfang 30 und haben an der Schola Cantorum Basiliensis studiert. Basel ist das wichtigste Zentrum für Alte Musik in Europa, vielleicht sogar weltweit. Aber wie lange noch? Das Gespräch kommt immer wieder auf das Thema, das alle seit Monaten beschäftigt: die drohende Ausweisung der 55 Kollegen, die weder aus der Schweiz noch aus der EU stammen, die sogenannten Drittstaatler.

Eigentlich gilt Basel als aufgeschlossen gegenüber Zuwanderern. Die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ im Februar wie auch die „Ecopop“-Initiative im November 2014 wurden bei den Volksentscheiden im Kanton Basel-Stadt deutlich abgelehnt. Unabhängig davon stellte das Basler Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) Anfang 2014 fest, dass 55 Musiker zum Teil seit mehreren Jahren mit Papieren in der Stadt wohnen, die nicht dazu berechtigen, sich dauerhaft in der Schweiz niederzulassen. Aufgrund ihrer relativ niedrigen Gehälter dürften die Musiker nicht in der Schweiz Wohnsitz nehmen, selbst wenn sie von ihrem Geld gut leben können. Um den Künstlern trotzdem das Leben in Basel zu ermöglichen, hatte ein großzügiger Beamter ihnen jährlich Kurzbewilligungen ausgestellt, wie sie für Gastkünstler oder Saisonkräfte gedacht sind.

Ihn erwartet nun ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs. Das AWA informierte die Musiker über die „Praxisänderung“, im Klartext: das Auslaufen der Bewilligungen zum Ende des Jahres 2014. Ausnahme: Sie können eine 75-prozentige Anstellung nachweisen. Doch fast alle Musiker – auch die meisten Schweizer Musiker – leben von einer Mischfinanzierung aus Auftritten und Unterricht.

Im Haus Eden, dem Wohnheim der Jüdischen Gemeinde, geht Neujahr ruhig vonstatten. Vier Sänger des Ensembles „Profeti Della Quinta“ wohnen hier und sind als israelische Staatsbürger von der Praxisänderung betroffen. Sie haben 2011 in York einen der wichtigsten Preise für Alte Musik gewonnen, seitdem unzählige Konzert in aller Welt gegeben und jedes Jahr CDs eingespielt. „Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass die Blase geplatzt ist“, sagt Tenor Dan. „Die alte Bewilligung war unbefriedigend. Mit der kann man weder den Telefonanbieter wechseln noch einen Mietvertrag abschließen. Wir wissen zwar noch nicht, wie es weitergeht, aber wenigstens haben wir eine geregelte Situation.“

Versuchsweise haben die Israelis auf der deutschen Grenzseite in Weil am Rhein angefragt, ob sie dorthin kommen können. Die Aussichten sind nicht so schlecht. Aber diejenigen, die in Basel einen kleinen Job als Musiklehrer oder Chorleiter haben, bräuchten dann ein Grenzgängervisum. Das bekommen aber nur EU-Bürger. Auch nach Israel zu ziehen, ist keine Alternative, denn das Leben dort ist zu teuer, die Musikszene klein und international nicht gut vernetzt. „Es geht übrigens nicht nur um 55 Musiker“, erklärt Elam. „Diejenigen, die 2014 ihr Studium in Basel abgeschlossen haben, sind noch nicht eingerechnet. Auch nicht die, die in den nächsten Jahren fertig werden. Es braucht eine viel umfassendere Lösung.“

Antonina Stoll hat Verständnis für Kultur. Die zuständige Bereichsleiterin des AWA Basel betont aber, bei der jetzigen gesetzlichen Regelung sei es kaum möglich, dass die Musiker eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung bekommen. „Es käme einer Aushöhlung der Gesetzgebung gleich, wenn sie einfach bleiben könnten. Und dann hätten wir die Frage nach der rechtsgleichen Behandlung: Wieso können sie bleiben und andere nicht?“ Was sie selbst sich für Basel wünscht, möchte sie nicht sagen.

Inzwischen haben die Musiker Aufschub bis August 2015 erhalten. Basler Politiker aus allen Parteien haben eine Petition initiiert, mit im Komitee ist sogar ein Politiker der nationalkonservativen Schweizer Volkspartei, Patrick Hafner: „Wir wollen weltweit die besten Leute. Diese sollen bitte zu uns kommen. Wir bieten ihnen ein ganz tolles Land.“ Der Grosse Rat Basel hat zudem eine Resolution verabschiedet, die den Bund dazu auffordert, praxisgerechte Arbeitsverhältnisse für ausländische Musiker zu schaffen. Und schließlich wird der Nationalrat demnächst eine entsprechende „Interpellation“ genannte Anfrage eines Basler Abgeordneten verhandeln.

Noch ist nichts entschieden, noch sind die Bewilligungen mit dem Zusatz „unverlängerbar“ versehen. Aber Zeit ist gewonnen, um weiter an einer Lösung zu arbeiten, zu bangen und zu hoffen.

Agnes Monka

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false