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Kultur: Buchen suchen

Der Berliner Bildhauer Michael Sailstorfer sucht die Kunst im Wald. Eine Ausstellung in Hannover

Der Wald, Ort des Unheimlichen, Fremden, dunkel lockender Zerrspiegel des rationalen Menschen. War einmal. Der mitteleuropäische Wald ist durch und durch Kulturlandschaft. Die Kunst, Hort des Guten, Wahren, Schönen – aber auch nur so lange, wie sie geschützt in klimatisierten Räumen hängt. 1915 setzte Kasimir Malewitsch mit seinem Schwarzen Quadrat die Kunst über die Natur. Dieses Pathos hat der Bildhauer Michael Sailstorfer nun zurück in die Natur gesetzt: In einem Kubus von sechs Metern Kantenlänge ließ er ein Stück Wald schwarz besprühen, als läge ein Schatten über Sträuchern, Laub und Stamm. Eine Überwachungskamera überträgt das Ergebnis live in die Räume der Kestnergesellschaft in Hannover. Dort erklärt das schwarze Viereck eines Fernsehers, platziert auf weißem Sockel, die Szene zur Bühne.

Mit der Arbeit „Schwarzwald“ legt Sailstorfer eine Leitung zwischen Kunstraum und Wirklichkeit. Die Wirklichkeit rückt dabei weiter in imaginäre Ferne als die Kunst, kann doch niemand überprüfen, wo das versteckte Waldstück liegt (im Schwarzwald jedenfalls nicht). Es ist eine Intervention, die auf Gegenseitigkeit beruht: Nach und nach holt sich die Natur zurück, was ihr gehört. Und verweist den Allgemeingültigkeitsanspruch künstlerischer Gesten freundlich in die Schranken.

Schon als Kunststudent fegte Michael Sailstorfer mit einer Wurzelbürste ein Stück Wald aus. Spielerisch verhandelt er die Grenzen von Skulptur und Raum und übersetzt existenzielle Aporien in närrische Versuchsanordnungen. Nach und nach wird im Video „3 Ster mit Ausblick“ das Holz einer Hütte in ihrem eigenen Ofen verfeuert, bis nur der rauchende Schornstein bleibt. Sailstorfers Arbeiten haftet etwas Rustikales an. Vermutlich hat die Tatsache, dass dies einer gewissen Vorstellung vom „Deutschen“ entspricht, seine Karriere in den letzten neun Jahren ähnlich steil in die Höhe schnellen lassen wie der „Raketenbaum“, den er auf einer Wiese nahe dem bayerischen Elternhaus in die Luft sprengte. Die Kestnergesellschaft zeigt nun mit „Forst“ die größte Werkschau des 31-jährigen Wahlberliners.

Sailstorfers präsenteste Marken waren zuletzt die Autoreifen, die sich unter großer Geräusch- und Geruchsentwicklung selbst an der Wand abreiben; und der Kunststoffpanzer, der sich im Wechsel aufpumpt und erschlafft. Beide sind nicht in Hannover. Dafür quillen seine „Clouds“ aus dem Flur, Lkw-Schläuche, die an Warhols schwebende Silberkissen erinnern. Unter diesem libidinösen Geschwülst warten zu Antennen umfunktionierte Kleiderständer auf nie eintreffende Signale. Wirklichkeit, eine Ansammlung absurder Kippbilder.

Nur Funkenschläge liegen bei Sailstorfer zwischen Fantasie und Präsenz. Grau beschichtete Glühbirnen aus der „No Lights“-Serie spannen sich als dysfunktionale Festbeleuchtung durch den Raum und betonen die Theatralität von Sailstorfers Arbeiten. Die selbstironische Feierlichkeit ihrer Effekte erinnert an Jahrmarktsattraktionen des 19. Jahrhunderts, bei denen wissenschaftliche Erfindungen im Spiel erfahrbar wurden. Kurator Martin Germann sieht den Humor Karl Valentins am Wirken. Titel wie „Andy Warhol trägt Parfum“ klingen nach Boulevardkomödie und erklären die Objekte zur Akteuren. Die an der Wand lehnende Latte könnte eine Minimalskulptur sein; nur hängt an ihr ein Duftspender, der den Vorbeigehenden Drogerieparfum zupustet.

Sailstorfer nimmt Positionen der Kunstgeschichte das Pathos und gibt ihnen eine spielerische Wendung. Dabei nutzt er klassische Minimalstrategien: gesteigerte Wahrnehmung durch Reduktion von Material. In ihrer schelmischen Zurückhaltung fordern die Arbeiten Körpergefühl und Teilnahme des Betrachters heraus. Wie in einer Umkehrung von Bruce Naumans „Tape Player“ nimmt das einbetonierte Mikrofon im „Modell-Reaktor“ die Schwingungen der Schritte auf und weitet in Rückkopplungsschleifen den akustischen Raum.

In der Neuproduktion „Forst“ findet sein Programm zu einem neuen Höhepunkt. Drei Eichen und zwei Buchen, die deutsche Ur-Bewaldung, hängen unter dem Gewölbe der früheren Schwimmhalle kopfüber an Motorenarmen, die sie fortwährend um sich selbst zerren. Mit ihren umgebogenen Baumkronen rühren sie, Reisig und Besen zugleich, im eigenen Laub und Rindenabrieb und schreiben wie Zeichenmaschinen ihre Kreise in den Boden. Ein Derwisch-Tanz zwischen Folter und Unterhaltung, ein zur Schau gestelltes Missverhältnis zwischen apparativem Aufwand und messbarem Ergebnis. So melancholisch diese Sisyphos-Arbeit anmutet, so sehr wiegt die Komik alle Schwere auf. Das Existenzielle im Beiläufigen – es ist ein Drahtseilakt, der bisher bestechend gut aufgeht.

Kestnergesellschaft, Hannover, bis 6. 2.; Künstlergespräch am 16. 1. um 16 Uhr

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