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Haste Töne? Christoph Israel gehen sie nie aus.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Christoph Israel: Der Wow-Effekt

Pop ist Alchemie: Pianist und Komponist Christoph Israel hat das neue Album von Max Raabe arrangiert – ein Probehören.

Gut, dass er das jetzt nicht mitbekommt. Da würde Christoph Israel sich nur genieren. Einen „sehr sehr feinstofflich arbeitenden Arrangeur“ nennt ihn Annette Humpe, und einen „sehr sehr guten Pianisten“ noch dazu. Er selbst schreibt „Selbstbeweihräucherungsprosa“ dazu, wenn er seine ohnehin sachliche Biografie schickt.

Max Raabe weiß, wieso: „Er ist ein zurückhaltender Mensch“, sagt er über seinen Freund und musikalischen Dauerpartner. Als Pianist sei er einfühlsam, präzise, zuverlässig. „Er hat Demut vor der Musik.“ So viel, dass er es vorzieht, der zweite und diesmal sogar der dritte Mann zu sein. Der, der schon, so lange man denken kann, mit kerzengeradem Rücken, ganz ernst und doch verschmitzt am Flügel hinter dem berühmten Sänger sitzt. Und der, für den sich alle Welt beim heutigen Erscheinen des Albums „Küssen kann man nicht alleine“ viel weniger interessiert als für die Stars Annette Humpe und Max Raabe. Christoph Israel ist der Mann daneben, der Mann dahinter – eher zu hören als zu sehen. „Find’ ich überhaupt nicht schlimm“, sagt er, „eher angenehm“. Ihn dränge es nicht ins Rampenlicht. Na klar, der Mann ist Westfale. Dass die nicht prahlen, wusste schon Heinrich Heine in „Deutschland – ein Wintermärchen“, wie wiederum Christoph Israel weiß.

Trotzdem ist er nicht 46 Jahre alt geworden, ohne als Musiker das eine oder andere gemacht zu haben, was dringend genannt gehört. Etwa mit Otto Sander, Dominique Horwitz, Udo Samel, Thomas Quasthoff oder Daniel Hope gearbeitet und 15 Jahre an der Universität der Künste gelehrt zu haben. Produktionen wie „Human Voices“ im Tipi am Kanzleramt, „Die Drei von der Tankstelle“ im Hans-Otto- Theater oder „Zwei auf einer Bank“ in der Bar jeder Vernunft hat er als musikalischer Leiter, Arrangeur und Pianist geprägt. Mit dem Trio Grand Cru konzertiert. Die Filmmusik von Pepe Danquarts Klettererdokumentation „Am Limit“ komponiert. Mit seinen Arrangements dem Palast-Orchester seinen Sound gegeben. Und dessen Chef Max Raabe bei Soloabenden und Soloalben am Flügel begleitet.

„Wir vertrauen uns blind“, sagt der. „Sind ja beide aus Lünen, Grundschul- Connection“. Auch dieser Westfale ist sehr schmal, sehr höflich und kein Freund zu vieler Worte. „1985 kam ich nach Berlin und hab’ mit der Matratze unter Christophs Tisch gewohnt.“ Fußboden ist schwer vorstellbar, wenn man die aus dem Ei gepellten Herren jetzt so sieht. Die katholischen Kleinstadtjungs haben an der Hochschule der Künste studiert, Raabe Bariton, Israel Klavier. Sein Vater ist heute noch Organist in Sankt Joseph, Lünen.

Das Klavier sei ein Orchester in sich selbst, erklärt Christoph Israel die Liebe, die ihn schon mit sechs befallen hat. Und es ist anspruchsvoll. „Harmonielehre, Kontrapunkt – es liefert musikalische Bildung frei Haus.“ Das gefällt Israel. Trotzdem will er nach dem Klavierstudium bei Klaus Hellwig keine Karriere als Solist einschlagen. Es gibt einfach zu viele sehr gute klassische Pianisten, sagt er sich. „Die kommen auch ohne mich aus.“ Und sich allein aufs klassische Repertoire zu beschränken, fällt ihm sowieso nicht ein. Da war die wunderbare Jugendfreundschaft mit Max Raabe vor, die die beiden Herrn Studenten mit ironischen Schlagerabenden aus der Schellackzeit krönen. Schon da ist diese intelligent-elegante Unterhaltungsmusik für sie so zeitlos wie das klassische Liedrepertoire. 1993 ist das Studium um, das erste gemeinsame Profiprogramm hat Premiere, die Sache läuft.

Auch mit Annette Humpe, die mit Bands wie Ideal und Ich + Ich seit dreißig Jahren deutsche Musikgeschichte schreibt und auf den Einfall kam, gemeinsam mit Raabe und Israel den durch die Nazis ausradierten Pop der Weimarer Republik bis heute weiterzudenken. Sie ist auch Westfälin, sagt Christoph Israel. Na dann ist ja alles klar. Zwölf heiter bis wolkige Lieder haben die drei für das Album „Küssen kann man nicht alleine“ in Israels Studio in der Kollwitzstraße in Prenzlauer Berg komponiert, getextet, arrangiert und produziert. „War ganz schön“, sagt er, „endlich wurde die Vereinsamung des Pianisten am Instrument mal durchbrochen“.

Gemein, dass er gerade die Handwerker da hat. Im Studio, über dem er wohnt, muss die marode Decke runter. Keine Chance also, die Musik da zu hören, wo sie in trauter Dreisamkeit am Computer entstanden ist. Immerhin, bei Universal Music an der Stralauer Allee haben sie für so was extra ein Musikhörzimmer.

Ein Glaswürfel mit Tisch, Stühlen, Anlage, Wasser, Saft, Kaffee und Keksen. Christoph Israel legt eine CD ein und das Intro des Titelsongs erklingt. Eine Harfe? „Ja, aus dem Computer“, sagt der zarte Herr mit den großen Händen fein. So wie alle Instrumente auf der „Popversion“ genannten Elektroausgabe des Albums, das zugleich in einer von einem 35-köpfigen Orchester eingespielten Deluxe-Version erscheint. Die Orchesterfassung atmet mehr, klingt größer, die Popversion ist dafür dreckiger, druckvoller. Und sie erstaunt, weil ohne Parallelhören kein Mensch mehr Streicher, Pauke, Harfe, Cembalo, Trompete oder Hackbrett aus digitalen Datenbanken erkennt.

Schadet nichts, sagt Christoph Israel. „Keiner muss wissen, wie’s im Detail gemacht ist. Das ist die Alchemie des Arrangeurs“. Bei Malern kenne man die Technik schließlich auch nicht genau. „Der Effekt ‚Wow!‘, um den geht’s mir beim Hören.“ So wie beim fett und festlich tönenden Liebeslied „Mit dir möchte ich immer Silvester feiern“.

Mit einer Idee räumt Israel ziemlich flott auf. Nämlich dass ein lustig-lakonischer Text wie in „Doktor, Doktor“, wo ein Mann sich Medizin gegen Schüchternheit wünscht, eine bestimmte Instrumentierung erfordert. So was wie das lustige Fagott, das im Stakkato in den tiefen Lagen herumspaziert, sei furchtbar langweilig, stöhnt er. „Ein guter Arrangeur bricht mit solchen Hörerwartungen.“ Und das ulkige Cembalo in der Ballade „Täglich besser“? Sei kein ironisches, sondern ein perkussives, treibendes Element. Na gut, dann mal Schluss mit dem Probehören des Orchesterpops. So nennt Freund Raabe die lässige Musik des westfälisch-akribischen Bastlertrios. Christoph Israel selbst hat keine Worte dafür. Muss er auch nicht, er hat ja das, was Farbe und Charakter reinbringt, er hat die Töne.

„Küssen kann man nicht alleine“ erscheint heute bei Decca/Universal. Konzert: 20.8. in der Berliner Waldbühne

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