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Maestro Kirill Petrenko und Konzertmeister Noah Bendix-Begley in der Philharmonie.

© Stephan Rabold

Die Philharmoniker und Petrenko: Übermut tut manchmal gut

Brahms, Schönberg - und Beethovens Schalk: ein elektrisierender Abend der Berliner Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko.

Was für eine widerborstige, unverschämte Symphonie! Dreifaches Fortissimo, so steht es häufiger als sonst bei Beethoven in der Partitur, ständig fährt einem der Schreck in die Glieder vor lauter Akzenten. Die Glanzlichter blenden. Kirill Petrenko gestaltet die ohnehin schon wagemutige Achte Symphonie als zuckenden Klangkörper und steigert ihr komödiantisches Moment bis zum Übermut.

Keine Spur mehr von der schweren Fußverletzung, die den Maestro noch zu Saisonbeginn plagte. Petrenko springt und tanzt auf dem Pult, geht in die Hocke, dirigiert mit zuckenden Achseln und kecker Mimik, ohne dass seine beredte Körpersprache je zur Show würde. Ihm geht es darum, und die Berliner Philharmoniker folgen ihrem Chefdirigenten mit sichtlichem Elan, wie souverän Beethoven dem Formenkanon seiner Zeit trotzte und ihm eine lange Nase drehte. Jede Phrase choreografiert er en detail aus und hebt so das Buffo-Potenzial der nur 25-minütigen Symphonie, jenes Fratzenhafte, ohne das der heilige Ernst von Beethovens nicht minder revolutionären Neunten vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre.

Gestalten treten auf und ab, in wechselnden Spielszenen und Maskeraden: Einmal mehr legt Petrenko seine Opern-Erfahrung in die Waagschale.

Treibt er es am Ende vielleicht doch etwas zu arg, wenn er für kurze Generalpausen sorgt, die Insistenz von Tonwiederholungen zusätzlich betont und die Kontrabässe im Schlusssatz mit ihren Bögen fast schon auf die Saiten schlagen? Ja, wir haben verstanden, möchte man mitunter rufen – wobei der Haydn’sche Schalk (und die angebliche Verulkung von Mälzers Metronom in den Holzbläser-Sechzehnteln) des Allegretto scherzando und der flirrende Beginn des finalen Allegros für die Schockmomente entschädigen.

Einen Witz, der vom Himmel gefallen ist, hat Hector Berlioz Beethovens Scherzo einmal genannt. Petrenko genießt die Heiterkeiten der Symphonie - und radikalisiert sie zu beißendem Humor.

Nicht der Extremist, sondern der Romantiker Petrenko hatte den Abend eröffnet, mit den „Variationen über ein Thema von Joseph Haydn“ von Johannes Brahms. Mit sämigen Streichertutti, starker Tiefengrundierung und schmerzlicher Süße im langsamen Wiegeschritt des „Grazioso“, der siebten Variation. Petrenko legt einen federnden Puls zugrunde, dämpft die Dynamik, auch wenn nicht „con sordino“ in den Noten steht, und erklärt die absteigenden Skalen der Flöte in der „Andante con moto“-Variation zum Klagelied. Immer wieder weht Melancholie heran, ohne dass die Schwermut überhand nähme. Die Holzbläser-Solisten der Philharmoniker sind ganz in ihrem Element.

Bei Arnold Schönbergs „Variationen für Orchester“ op. 31, jenem ersten zwölftönigen Werk des Wiener Komponisten für ein großes Ensemble, geht Petrenko umgekehrt vor wie bei Beethoven. Zwar modelliert er die Miniaturen präzise aus, aber er entgeht der Gefahr der Kurzatmigkeit, indem er die durch das gesamte Orchester wandernden Linien und Motive betont. Schönbergs b-a-c-h-Hommage an den großen Kontrapunktiker wird nicht erst im Finale manifest, sondern bricht sich schon früh deutlich Bahn.

Und es bleibt nicht bei der anrührenden Verlorenheit der Solo-Geige und den nervösen Irrläufen der Holzbläser etwa in der Walzer-Variation. Die überkommenen Harmonien mögen erodiert und die Gestalten zersprengt sein. Aber sie hören nicht auf, einander zu suchen.

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