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Regisseurin Ayse Polat in der Bergmannstraße.

© David Heerde

Kreuzberger Regisseurin Ayşe Polat: Berlinale-Debüt mit „Im toten Winkel“

Die Berliner Filmemacherin Ayşe Polat hat einen politischen Mystery-Thriller gedreht, der auch ein kleines Comeback ist. Ein Treffen.

Von Andreas Busche

Wenn Ayşe Polat sagt, dass sie wieder „im Game“ sei, schwingt eine gehörige Portion Ironie im Unterton mit. Eine Playerin, um im Bild zu bleiben, ist die Berliner Regisseurin eigentlich nicht. Im Gespräch wirkt sie ruhig und redet leise – aber bestimmt. Das hat sich für Polat in den vergangenen Jahren leider öfters als Nachteil erwiesen. Denn das „Game“, in dem sie spielt, heißt „Deutscher Film“, und der hatte meist ein sehr konkretes Profil für eine Regisseurin mit dem Vornamen Ayşe.

Polat erschien gegen Ende der neunziger Jahre in der kurzen Welle des sogenannten deutsch-türkischen Kinos um Fatih Akin, Thomas Arslan und Züli Aladag auf der Bildfläche. Allesamt Kinder türkischer Einwandererfamilien – und die erste Generation, die in Deutschland aufgewachsen ist. Der junge deutsch-türkische Film wurde mit „Kurz und schmerzlos“ (Akin), „Geschwister“ (Arslan) und „Auslandstournee“ (Polat) ein wichtiger Referenzpunkt für die Abkehr vom „Migrantenkino“ der achtziger Jahre, im Gefolge von Tevfik Basers „40 qm Deutschland“. Der Bindestrich in „deutsch-türkisch“ suggerierte nun zwar Zugehörigkeit, aber die Ausgrenzung schwang immer noch subtil mit.

Ayşe Polat, die mit ihrem zweiten Spielfilm „En Garde“, der Coming-of-Age-Geschichte über ein Teenager-Mädchen auf einer Waisenheim-Odyssee, in Locarno 2004 den Silbernen Leoparden gewann, hat sich mit diesem Label immer unwohl gefühlt. Spricht man sie darauf an, stellt sie klar: „Die ersten acht Jahre meines Lebens habe ich in der Türkei verbracht. Aber ich denke auf Deutsch, ich träume auf Deutsch. Ich bin eine deutsche Filmemacherin mit alevitisch-kurdischen Wurzeln.“

Wie kompliziert die Auseinandersetzung mit der Herkunft ist, dass diese immer Teil der individuellen Erfahrung bleibt, die eigene Identität aber noch viele andere Facetten hat, zeigt sich auf faszinierende Weise in Polats fünftem Spielfilm „Im toten Winkel“, der in der Reihe Encounters seine Premiere hat. Für die Regisseurin fühlt sich ihr Berlinale-Debüt wie eine Rückkehr an.

„Nach dem Preis für „En Garde“ war es erstaunlich schwer, Förderung zu bekommen“, erzählt Polat beim Treffen in einem Kreuzberger Restaurant, unweit ihrer Wohnung. „Ich fühlte mich wieder auf die postmigrantische Filmemacherin reduziert. Meine letzten zwei Filme musste ich ohne Förderung drehen, denn ich wollte meiner Leidenschaft weiter kompromisslos nachgehen. Zur Not hätte ich auch auf dem Handy gedreht.“

Übersinnliche Gabe oder berechtigte Paranoia?

Dass eine „deutsche Filmemacherin mit alevitisch-kurdischen Wurzeln“ von ihrer Herkunft und einer postmigrantischen Erfahrung in Deutschland erzählen kann, ohne diese automatisch ins Zentrum ihrer Filme zu stellen, hat Ayşe Polat schon mehrfach bewiesen. Mit „Im toten Winkel“ lässt sie Deutschland sogar ganz hinter sich, auch wenn ihr Film eine unsichtbare Spur zurück legt: in der Figur der deutschen Dokumentarfilmerin, die in der Türkei eine Reportage über die Mütter verschwundener junger Männer dreht.

„In Istanbul“, erklärt Polat den Ausgangspunkt ihres Films, „bin ich den ,Samstagsmüttern’ begegnet, die sich mit den Fotos ihrer verschwundenen oder getöteten Söhne jeden Samstag in der Nähe des Taksim-Platzes treffen. Mich bewegte der Anblick, weil die Frauen, ihr Ruf nach Aufmerksamkeit auf mich wie eine Wunde in der belebten Straße wirkten.“

Polat hat mit „The Others“ vor einigen Jahren bereits einen Dokumentarfilm über ein Trauma gedreht, die Rolle der Kurden im Genozid an den Armeniern vor über hundert Jahren. Mit „Im toten Winkel“ schwebte ihr nun etwas anderes vor: eine Thriller-und Geistererzählung. „Über die Atmosphäre kommt man dem Kern des Themas, diesem Gefühl von Verlust und Schuld, viel näher“, sagt sie.

Szene aus Ayşe Polats Berlinale-Encounters-Beitrag „Im toten Winkel“.

© Mitosfilm

Im Mittelpunkt der drei Episoden steht die etwa zehnjährige Melek, deren Vater für die türkische Geheimpolizei arbeitet. Das Mädchen hat möglicherweise eine übersinnliche Gabe oder einen imaginären Freund. Es könnte aber auch sein, dass die erratischen Point-of-View-Einstellungen, die wie eine unsichtbare Macht die Menschen einkreisen, bloß einem zunehmenden Zustand von Paranoia entspringen.

„In jedem Kapitel haben die Bilder eine andere Funktion“, erklärt Polat. „Sie korrespondieren miteinander. Das erste Kapitel ist noch dokumentarisch, im zweiten dominiert dann das Handy und im letzten überwiegt eine Überwachungsästhetik. Die Verunsicherung in den Bildern nimmt langsam zu.“ Die Frage, wer da eigentlich gucke, die Ambivalenz des Blicks sei das zentrale Motiv ihres Films.

Der deutsche Film riskiert immer noch zu wenig

Ein Problem des deutschen Films sei, meint Polat, dass er zu wenig riskiere. Man kann auch sagen: dass er eine nicht allzu ausgeprägte Idee vom Kino habe. Umso erstaunlicher ist darum, was Ayşe Polat nach zehn Jahren Abstinenz mit „Im toten Winkel“ gelungen ist: ein politischer Film, der mit den Bildmedien, die uns täglich umgeben, spielt. „Es geht mir um die Darstellbarkeit von Traumata“, erklärt sie. „Wie fängt man ein, was sich im toten Winkel unserer medialen Wahrnehmung befindet? Und welche Spannung entsteht zwischen dem Gezeigten und dem, was außerhalb der Einstellung geschieht?“ Das Genre des Paranoiafilms sei so im Grunde wie von selbst „zu mir gekommen“.

„Ich verstehe mich als politischen Menschen“, sagt Polat über ihre Arbeitsweise. „Aber ich habe keine politische Mission. Meine Filme sind zuerst persönlich. In meiner Arbeit beschäftigt mich immer wieder das Thema Ungerechtigkeit, auch in Bezug auf die soziale Herkunft. Oder den Kulturbetrieb.“ Umso erstaunlicher, wie gelassen Ayşe Polat über ihre Arbeit spricht: ohne eine Spur von Verbitterung.

„Im toten Winkel“ ist der Film einer Regisseurin, die immer ganz bei sich geblieben ist. Dieser Eindruck zieht sich wie ein roter Faden durch ihr schmales, aber präzises Werk – ob fürs Fernsehen oder fürs Kino. Gerade hat sie ihren zweiten „Tatort“ abgedreht. Polats Beharrlichkeit scheint sich ausgezahlt zu haben. Dass sie mit „Im toten Winkel“ nun als deutscher Beitrag in den Encounters-Wettbewerb eingeladen wurde, ist folgerichtig.

Am Schluss möchte man noch wissen, ob sie eine Idee habe, was in der deutschen Filmbranche passieren müsse, damit nicht andere Regisseurinnen dieselben Erfahrungen wie sie machten. Polat antwortet, dass sich in den vergangenen Jahren schon vieles zum Besseren verändert habe. Wichtig seien aber vor allem die Personen an den Schaltstellen. „Diversität bedeutet nicht nur, dass man ein paar Rollen in Filmen neu besetzt. Schon die Auswahl von Filmen, von der Förderung, übers Verleihprogramm bis zu Festivals, ist ein politischer Akt.“ Wie schmal dieses Nadelöhr ist, hat Ayşe Polat selbst erfahren.

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