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Mann im Dunkel. Manets Meisterwerk: „Absinthtrinker“.

©  Ny Carlsberg Glyptotek

Ausstellung in Kopenhagen: Ohne Rahmen - ein völlig neues Bild

Die Kopenhagener Ny Carlsberg Glyptotek präsentiert neun Meisterwerke auf neue Weise: nur ein Gemälde pro Raum – und alle ohne Rahmen.

Heutzutage müssen Ausstellungen mit der Vielzahl ihrer gezeigten Werke punkten, um beim Publikum Erfolg zu haben. Nur neun Gemälde hingegen – und die auch noch aus eigenem Bestand – müssen folglich als Eingeständnis mangelnder Strahlkraft gelten.

Das Gegenteil ist in Kopenhagen zu besichtigen. Die Ausstellung mit dem knappen Titel „Paint“, die das bereits Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Privatmuseum des Biermagnaten Carl Jacobsen, die Ny Carlsberg Glyptotek im Stadtzentrum, in diesem Winter veranstaltet, umfasst sage und schreibe lediglich neun Gemälde. Und die sind auch noch bestens bekannt, zählen sie doch zu den Höhepunkten der überaus qualitätsvollen Sammlung französischer Malerei des 19. Jahrhunderts, die Museumsgründer Jacobsen aufbaute. Und diese neun Werke werden noch dazu in sieben Räumen des von dem bedeutenden dänischen Architekten Henning Larsen 1996 angefügten Museumsflügels gezeigt, je ein Gemälde pro Raum. Nur einmal kommen gleich drei Werke miteinander ins Gespräch.

Ins Gespräch kommen alle neun Werke, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn Kuratorin Line Clausen Pedersen, selbst auf französisches 19. Jahrhundert spezialisiert, hat die Bilder aus ihren Rahmen nehmen lassen und gibt sie, effektvoll ausgeleuchtet und von einer mit Abstand davor gesetzten Glasscheibe geschützt, zur eindringlichen Betrachtung frei. Ohne Rahmen erzählen die Arbeiten von ihrer Entstehung mehr, als man sich je vorstellen konnte. Es ist nichts an der Malfläche verändert, nur die Ränder und schmalen Seiten des Bildträgers sind erstmals zu sehen – und doch entsteht ein völlig neues „Bild“ vom Bild.

Hat man gewusst, dass Manet den "Absinthtrinker" um 40 Zentimeter angestückelt hat?

Hat man je gewusst, dass Edgar Degas den Raum, in den er seine „Tänzerinnen bei der Übung im Foyer“ gestellt hat, ursprünglich breiter angelegt hat, dass er aber mit der Räumlichkeit auf der zweidimensionalen Fläche des Bildträgers seine liebe Not hatte? Sah man, dass Edouard Manet die Leinwand für sein frühes, 1859 datiertes Meisterwerk des – erst später so bezeichneten – „Absinthtrinkers“ unten um 40 Zentimeter angestückelt hat, um mit dem Glas zur Linken und der direkt vor den Betrachter kollernden Flasche die Aussage treffen zu können, die in der ursprünglichen Darstellung – dem Typenbild eines gesellschaftlichen Außenseiters – noch kaum angelegt war?

Sah man, wie unsicher Gustave Courbet die Schale seines „Stilllebens mit Äpfeln“ im unklaren Raum buchstäblich hängen ließ, als er sich diese Gegenstände 1871 in seiner Gefängniszelle imaginieren musste, in der er nach dem gescheiterten Commune-Aufstand einsaß?

Ohne Rahmen gewinnnen die Bilder eine ganz eigene Aura: die ihrer ungeschützten Entstehung

Gewiss, man konnte es auch bislang schon sehen; abgesehen von dem durch einen voluminösen Rahmen abgedeckten Farbstreifen bei Degas. Aber ohne Rahmen – und sie fielen bei den Malern der Moderne merkwürdigerweise genauso üppig aus wie bei den Salonkünstlern – gewinnen die Bilder eine ganz eigene Aura: die ihrer ungeschützten Entstehung. Paul Cézannes „Badende“ zeigen die Attacken, die der Maler mit Pinsel und Malmesser an seinen Figuren verübt hat. Vincent Van Goghs „Landschaft von Saint-Rémy“ – seinem Anstaltsasyl von 1889 – zergeht in eine hügelige Anhäufung der Farben als physischem Material. Sie endet abrupt an den Bildrändern, wo die Leinwand umgeschlagen und auf den Rahmen genagelt ist.

Einen ganz anderen Zugang hat Kuratorin Pedersen für das beunruhigende Breitwandbild „Unwetter über dem Mont Blanc“ gewählt, an dem sich Théodore Rousseau – nicht mit dem „Zöllner“ verwandt! – zwischen 1834 und 1867 abarbeitete, ohne das Bild jemals zu zeigen. Rätselhaft, wie ein so dramatisches Landschaftspanorama bei einem Maler entstehen konnte, der später, als Haupt der „Schule von Barbizon“, Wohnzimmerformate von paysages intimes malte.

In diesem Saal sind die übrigen Wände mit Papierbahnen bedeckt, auf denen Besucher ihre Eindrücke sowie ihre Verweildauer vor dem Bild notieren. Interessant, dass die jeweils angegebenen Minuten um ein Vielfaches über den vier bis acht Sekunden Hingucken liegen, die bei empirischen Untersuchungen in herkömmlichen, rundum gefüllten Räumen in gleich welchem Museum gemessen werden.

Das ist der pädagogische Effekt der Ausstellung: den Besucher endlich einmal wieder auf das einzelne Bild zu lenken. Und es gelingt ja auch! So viel noch wäre zu jedem einzelnen der neun Bilder zu sagen. Das wird schlagartig deutlich, nimmt man den Weg ins dritte Geschoss des Kopenhagener Museums: Da nämlich sind zahlreiche weitere Gemälde der französischen Bestände zu sehen, angeordnet in Anlehnung an das Drunter und Drüber des alljährlichen Pariser Salons, doch untergründig chronologisch und jedenfalls nicht nach Stilen, Schulen oder Sujets.

Auch da sind Meisterwerke zu sehen, wie die beiden Daumiers oder ein pastoraler Corot, aber auch Delacroix, den man gefühlsmäßig einer früheren Generation zurechnet und der doch in die Mitte des Jahrhunderts hineinragt, in dem die Moderne sich zu bilden beginnt.

Und dann bedauert man, dass ein so unerhörtes Bild wie die kleinformatige, doch jede Bildgrenze sprengende „Erschießung Kaiser Maximilians“ von Manet (1867) – eine Vorstudie zu dem in Mannheim bewahrten Großformat – von minderen Bildern bedrängt wird. Typisch Salon! Und, ja, hier oben sind alle Bilder gerahmt und rundum eingefriedet. Hier oben begreift man, was für eine Tat es ist, in den Sälen darunter neun Meisterwerke ganz für sich stehen zu lassen.

Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Dantes Plads 7, bis 3. März. Katalog demnächst. – www.glyptoteket.com

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