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Salman Rushdie, Schriftsteller, am Donnerstagabend im Deutschen Theater.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Salman Rushdie in Berlin: „Vielleicht haben meine Bücher mir das Leben gerettet“

Bei der Premiere von „Knife“ im Deutschen Theater erzählt der britische Schriftsteller, warum er kaum anders konnte, als über das Attentat ein Buch zu schreiben.

Die Menschenschlange ist lang vor dem Eingang des Deutschen Theaters, über den großen Vorplatz reicht sie bis zur Schumannstraße in Mitte. Salman Rushdie stellt an diesem Donnerstagabend sein Buch „Knife“ vor, das er über das lebensgefährliche Attentat auf ihn im August 2022 in Chautauqua im US-Bundesstaat New York geschrieben hat.

Der Sicherheitsaufwand ist groß: Ein Polizeiwagen mit mehreren Beamten steht bereit, Security-Männer sind zu sehen. Wer Gepäck oder eine Tasche dabei hat, muss diese an einem Wagen abgeben, die Eintrittskarten werden genau kontrolliert, sie sind an die jeweilige Person gebunden. Immerhin signalisiert der große Verkaufsstand mit Rushdies Büchern eine gewisse Normalität, darauf neben ein paar Taschenbuchausgaben älterer Romane überwiegend Exemplare von „Knife“, die Rushdie vorher signiert hat.

Seit einer Woche ist der Schriftsteller in Europa. Er trat bei der Buchmesse in Turin auf, wo er mit Roberto Saviano auf einem Podium gesessen hatte, dann in Hamburg und Berlin, wo er sich unter anderem bei Sandra Maischberger in der Talkshow einfand und es zu einer Begegnung mit Bundeskanzler Olaf Scholz kam. Nun also die Deutschland-Premiere von „Knife“ im Deutschen Theater.

Gut aufgelegter Rushdie

Rushdie ist, wie so oft bei seinen öffentlichen Auftritten in den letzten Monaten, gut aufgelegt. Wie üblich trägt er einen dunklen Anzug, darunter dieses Mal ein graues Hemd, nachmittags war es noch ein schönes fliederfarbenes gewesen, und er registriert zunächst, dass er das Publikum nicht sehen könne, es so dunkel im Auditorium sei.

Die Frage von Marie Kaiser und Thomas Böhm vom übertragenden Berliner Radiosender „Radioeins“, warum er so überraschend schnell zurückgekehrt sei und sich nicht erst einmal zurückgezogen habe, beantwortet Rushdie mit einem lässigen Satz: „Ich wollte dieses unsichtbare Publikum sehen.“ Und dann, ernsthafter: Dass ihm die Lesetour zu seinem letzten Roman „Victory City“ wegen seiner Rekonvaleszenz versagt geblieben sei, und das hole er jetzt gewissermaßen nach.

Tatsächlich ist das Programm erstaunlich, das Rushdie absolviert. Man könnte von Rushdie-Festspielen sprechen, die der Schriftsteller und sein Verlag gerade veranstalten. Es ist mutmaßlich eine Form von Trauma-Bewältigung, die mit dem Schreiben von „Knife“ begann und sich nun mit seinen Auftritten und dem Sprechen über das Attentat fortsetzt.

Treffen mit Grass

Fast dankbar ist man da, als es erstmal um ein Treffen mit Günter Grass geht nicht lange nach der Wiedervereinigung, in einem Café auf Unter den Linden. Er habe dort Grass weinend erlebt; überhaupt habe er viele Jahre den größten Respekt vor diesem Schriftsteller gehabt. Bei seinem ersten Treffen mit Grass nach der deutschen Veröffentlichung von „Mitternachtskinder“ sei er das „new kid on the block“ gewesen, und Günter Grass eben: Grass.

Im Folgenden liest Ulrich Matthes kurze Passagen aus „Knife“, unterbrochen immer wieder von Frageblöcken der beiden Moderator:innen. Rushdie erzählt von der zweifelhaften Intimität der Messerattacke, den 27 Sekunden, in denen ihm 15 Wunden zugefügt wurden. Von der Möglichkeit, so einem Angriff ausgesetzt zu sein. Gerechnet hatte er damit immer, ihn sich imaginiert. Irgendwann jedoch seien diese Fantasien immer weniger geworden.

Die Liebe hat den Kampf gegen die Gewalt gewonnen.

Salman Rushdie im Deutschen Theater in Berlin

Nun sei er wieder brutal in die Vergangenheit nach dem Mordaufruf 1989 durch den Ayatollah Chomeini zurückgestoßen worden. Rushdie berichtet von der Simplizität der Motive seines Angreifers: Jeder Verleger, jeder Lektor hätte ihm so eine fiktive Figur als völlig unterkomplex aus einem Romanmanuskript gestrichen. Er berichtet von der Gesellschaft mit Kollegen wie Samuel Beckett und Nagib Machfus, die ebenfalls mit dem Messer angegriffen worden seien: „Ich musste irgendwann mit den Recherchen aufhören, das ist ja wie ein Club.“ Und er beschreibt die zwei Kräfte, die seit der Attacke miteinander wetteiferten: Gewalt und Hass auf der einen Seite, Liebe und Sorge auf der anderen. „Die Liebe hat diesen Kampf gewonnen.“

Tatsächlich erzählt er in „Knife“ auch, wie er seine Frau kennengelernt und sich in diese verliebt hat; davon, was das Attentat für sie und die anderen Mitglieder seine Familie bedeutet habe. Man fragt sich schon bisweilen, ob der Schriftsteller wirklich über die Attacke hinweg ist, und würde gern tiefer in seine Psyche blicken können. Seine Auftritte in Deutschland jedenfalls sind sehr souverän und professionell, Rushdie absolviert sie gleichermaßen ernsthaft und humorvoll.

Auch die „gesprächigen Zehen“ erwähnt er wieder, nachdem er erstmals mit seiner Frau zu kommunizieren begann im Krankenhaus. Auf die Frage, warum er so genau seine medizinischen Behandlungen beschreibe, antwortet Rushdie: „Wenn ich das alles durchmachen musste, warum nicht auch meine Leser?“ Es sei dramatisch gewesen, und die Leute würden Dramen doch lieben. oder? Trotzdem, Rushdie erneut ernsthaft, sei das natürlich alles schwer für ihn gewesen, habe es Komplikationen gegeben.

Punkt für Punkt geht es an diesem Abend durch „Knife“, werden die erstaunlich vielen Aspekte, die dieses Überlebensbuch hat, zumindest angesprochen. Es passt zu Rushdies bewundernswertem Comeback, wenn er vom Wunder spricht, überlebt zu haben. Trotzdem glaubt er, Atheist, der er ist, weiterhin nicht an göttliche Wunder; höchstens an medizinische, an das Wunder, Glück gehabt zu haben.

Wie man ein Trauma bewältigt

Wie schreibt er es in seinem Buch, viel differenzierter, als er es auf der Bühne sagen kann: „Vielleicht haben meine Bücher seit Jahrzehnten an jener Brücke gebaut, sodass das Wunderbare sie nun überqueren konnte. Das Magische wurde zum Realismus. Vielleicht haben meine Bücher mir das Leben gerettet.“ Und vielleicht hilft ihm das Schreiben wirklich, an keinen schwerwiegenderen posttraumatischen Belastungsstörungen leiden zu müssen.

Auftritt im Literarischen Quartett

In „Knife“ heißt es: „Ein Buch über einen Mordversuch könnte für den Fast-Ermordeten eine Möglichkeit sein, mit dem Vorgefallenen klarzukommen.“ Das ist ihm offensichtlich gelungen. An diesem Freitag tritt Salman Rushdie noch im Literarischen Quartett auf, zu sehen ab 15 Uhr in der ZDF Mediathek und ab 23 Uhr 30 im Fernsehen.    

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