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PORTRÄT JOHN BOEHNER SPEAKER DES US-KONGRESSES:: „Ich suche nicht den Ruhm der Leuchtreklame“

Die Konstituierung eines neuen Parlaments ist ein erhabener Moment. Der Alltagsbetrieb hält inne, das Zeremoniell der Vereidigung aller Abgeordneten und die Wahl des Speakers entführt die Volksvertreter aus den parteipolitischen Gräben.

Die Konstituierung eines neuen Parlaments ist ein erhabener Moment. Der Alltagsbetrieb hält inne, das Zeremoniell der Vereidigung aller Abgeordneten und die Wahl des Speakers entführt die Volksvertreter aus den parteipolitischen Gräben.

Keiner verkörpert diesen wohltuenden Kontrast besser als John Boehner, der wiedergewählte Speaker. Seine Freunde wissen schon lange, welch’ weicher Kern unter der harten Schale des 63-jährigen Kettenrauchers aus Ohio steckt. Mit feuchten Augen nahm er die Wahl an, die rechte Hand schloss sich fest um ein weißes Taschentuch, als könne es ihm Halt gegen die Rührung geben, die ihn übermannte. Mit stockender Stimme kämpfte er sich durch die Begrüßung der Parlamentsneulinge: „Wer hierhergekommen ist, um seinen Namen in Leuchtschrift zu sehen oder politische Siege zu feiern, ist am falschen Ort.“ Die Zeiten verlangten nach Demut.

Boehner ist kein „Show Horse“: kein Anführer, der in den Medien glänzt, und auch kein Dompteur, der mit unnachgiebiger Disziplinierung die Fraktion zusammenhält. Seine Gabe ist es, in emsiger Kleinarbeit Wege zur Abstimmungsmehrheit auszuloten. Rechte Republikaner legen das als Schwäche aus. Zwölf der 233 Konservativen verweigerten ihm die Stimme bei der Wiederwahl. Das war noch einmal ein Protest gegen die Steuererhöhungen im Kompromiss zur Vermeidung der Fiskalklippe.

Die Mehrheit ahnt, dass es nicht an Boehner liegt, wenn Konsens immer schwieriger wird. Amerikas Gesellschaft verändert sich, also wachsen auch die Interessengegensätze im Kongress, freilich mit zeitlicher Verzögerung. Das alte weiße Amerika ist noch dominant, verliert aber kontinuierlich an Einfluss. Im Senat sitzt erstmals eine Buddhistin, im Repräsentantenhaus eine Hindu und eine offen bisexuelle Abgeordnete. Erstmals in der US-Geschichte gibt es eine Fraktion, in der die weißen Männer in der Minderheit sind: die Demokraten im Abgeordnetenhaus.

Speaker zu sein ist in diesen Zeiten mehr Last als Lust. Aus Rücksicht auf die Mini-Revolution in den eigenen Reihen gegen den Fiskal-Kompromiss verschob Boehner die geplante Abstimmung über die Wiederaufbauhilfe für die Opfer des Hurrikans „Sandy“. Prompt hagelte es Proteste von Republikanern in den betroffenen Gebieten. Die Fronten verlaufen nicht mehr allein zwischen Demokraten und Republikanern. Sie gehen mitten durch Boehners eigene Fraktion. Christoph von Marschall

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