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"Stop! Alles außer dem Propheten" - eine Karikatur aus der Hamas-Zeitung "Falesteen".

© dpa

Medien und Mohammed-Karikaturen: "JeSuisCharlie" - Mut ist nicht immer klug

Die „New York Times“ hat die umstrittenen Karikaturen des Magazins „Charlie Hebdo“ nicht nachgedruckt. Dafür wird sie jetzt als feige und politisch überkorrekt kritisiert. Der Vorwurf ist grotesk. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Ein neuer Graben tut sich auf. Die „New York Times“ hat die umstrittenen Karikaturen des Magazins „Charlie Hebdo“ nicht nachgedruckt. Dafür wird sie jetzt als feige und politisch überkorrekt kritisiert. Die „Zeit“ titelt in ihrer jüngsten Ausgabe „Sieg der Angst“. Die Haltung der Zeitung sei „so absurd wie giftig“. In der „Welt“ heißt es, dies sei „die offizielle Bankrotterklärung, die finale Unterwerfung der Pressefreiheit gegenüber der terroristischen Gewalt“. Die Feinde der Freiheit würden sich freuen. „Spiegel-Online“ wiederum diagnostiziert eine „Karikaturen-Krise“ bei der einflussreichsten Zeitung der Welt.

Interessant ist, dass sich die „New York Times“ und ihre Kritiker in zwei Punkten einig sind. Erstens: Das Recht auf Meinungsfreiheit sollte möglichst umfangreich, der Schutz der freien Rede möglichst umfassend sein. Meinungen können verletzen, ausgrenzen, bösartig und verrückt sein. Wir sollten möglichst alles kritisieren, infrage stellen, bezweifeln dürfen. Das umfasst auch Spott, Satire, Karikaturen. Zweitens: Es gibt keine Pflicht von Medien, Dinge zu veröffentlichen, die andere Menschengruppen – Frauen, Schwule, Behinderte, ethnische Minderheiten, Gläubige – pauschal diffamieren. Insbesondere Karikaturen können zynisch, pornographisch und obszön sein.

Radikal auseinander gehen die Standpunkte beim dritten Punkt der Ableitung. Die Kritiker der „New York Times“ sagen, dass es just dann, wenn der Abdruck von Karikaturen durch Terror und Waffengewalt verhindert werden soll, wenn also die Freiheit als solche bedroht wird, eine Pflicht gebe, die Karikaturen zu drucken. Andernfalls würde der Terror über die Freiheit triumphieren. Das gebiete auch die Solidarität mit den Opfern, in diesem Fall den ermordeten Redakteuren von „Charlie Hebdo“. Daher „JeSuisCharlie“.

Keiner weiß, was die Terroristen wirklich antrieb

Die „New York Times“ dagegen geht diesen dritten Schritt nicht mit. Man könne sehr wohl die Meinungsfreiheit verteidigen und gleichzeitig dem Grundsatz treu bleiben, keine religiösen, weltanschaulichen oder sittlichen Überzeugungen zu schmähen. Eine Beschreibung der Karikaturen reiche aus, um den Lesern genügend Informationen zu geben.

Dass sich von den Mohammed-Karikaturen sehr viele Muslime zutiefst in ihrem Glauben beleidigt fühlen, lässt sich kaum bestreiten. Hunderttausende haben weltweit gegen die neueste Ausgabe von „Charlie Hebdo“ protestiert. Der Rechtsgelehrte Josef Isensee beschreibt den Konflikt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ so: „Die Spaßgesellschaft, die nichts ernst nimmt und der nichts heilig ist, stößt auf einen heiligen Ernst, der keinen Spaß versteht und der sie für gottlos und dekadent hält.“

Die entscheidende Schwäche im dritten Punkt der Ableitung liegt jedoch woanders. Unterstellt wird, den Terroristen sei es in erster Linie darum gegangen, den Abdruck von Mohammed-Karikaturen zu verhindern. Doch keiner weiß, was die Terroristen wirklich antrieb. Sie sind tot. In ihr Kalkül könnte es ebenso gepasst haben, im verhassten Westen eine Solidarisierungswelle mit den Zeichnern von „Charlie Hebdo“ auszulösen, die einen massenhaften Nachdruck von Mohammed-Karikaturen nach sich zieht, damit eben das den „clash of civilizations“ befördert. In dieser Logik hätten uns die Terroristen reingelegt: Wir kämpfen zwar nun durch Nachdruck der Karikaturen tapfer für die Freiheit, das aber verstärkt die Entfremdung zwischen uns und vielen Muslimen.

Eine weitere Schwäche der Jetzt-erst-recht-Fraktion besteht darin, das Heft des Handelns aus der Hand zu geben. Wenn die Mohammed-Karikaturen nur deshalb gedruckt werden, weil die Terroristen ein Massaker an deren Zeichnern verübt haben, definieren die Terroristen, was wann gedruckt wird. Nicht mehr die eigenen Kriterien sind entscheidend, sondern die gesamtgesellschaftliche Kontextualität. Heteronomie statt Autonomie. Reaktion statt Souveränität. Durch einen ähnlichen psychologischen Mechanismus sind die USA nach 9/11 in den „Krieg gegen den Terrorismus“ hineingeschlittert.

Die „New York Times“ entzieht sich dieser Logik. Das mag man falsch finden. Die Zeitung deswegen zu einem „Feind der Freiheit“ zu erklären, ist auch angesichts der wahren Feinde der Freiheit grotesk.

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