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Brandenburg: Gläserne Spätheimkehrer

KOMMENTAR Von Claus-Dieter Steyer Die Frankfurter Marienkirche erhält ihr Herz zurück. Dieser Satz von Bischof Huber krönte die an Symbolik kaum zu überbietende Feier über die Ankunft der mittelalterlichen Fenster aus Russland in der Oderstadt.

KOMMENTAR

Von Claus-Dieter Steyer

Die Frankfurter Marienkirche erhält ihr Herz zurück. Dieser Satz von Bischof Huber krönte die an Symbolik kaum zu überbietende Feier über die Ankunft der mittelalterlichen Fenster aus Russland in der Oderstadt. Doch die „gläsernen Spätheimkehrer“ lösen nicht nur hier Hoffnungen aus. Gewiss ist die Freude gerade in Frankfurt berechtigt. In dem nach Kriegsende an den Rand Ostdeutschlands gedrängten Ort zählen positive Nachrichten doppelt. Abwanderung, Arbeitslosigkeit, Resignation genügen als Stichworte, die auch das unerbittliche Festhalten am Projekt einer großen Chipfabrik erklären. Falls spätestens in zwei Jahren die Bibelbilder wieder im Sonnen- oder Kerzenlicht strahlen, besitzt die Stadt wieder einen Touristenmagneten.

Noch wichtiger scheint die Wirkung auf das Selbstbewusstsein zu sein. Wie vor 630 Jahren, als die Bürger selbst Geld für den Bau der 111 großen Fenster sammelten, ist der Erfolg auch diesmal vor allem vielen Frankfurtern zu verdanken. Stadt und Kirchengemeinde sprechen heute schon von einer Sensation. Tatsächlich haben sie sich von den Gesetzen Russlands nicht abschrecken lassen, die eine Rückgabe der „Beutekunst“ eigentlich kategorisch ausschließen. Beharrlichkeit und gute Beziehungen können offensichtlich auch heute noch so manches Eis schmelzen. So ist es nicht zuletzt dem Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche zu verdanken, dass das Parlament in Moskau der Herausgabe der 1946 nach Leningrad gebrachten Kirchenfenster zustimmte.

Doch in der augenblicklichen Euphorie sollte der Charakter der kostbaren Fracht aus Russland nicht unter den Tisch fallen. Es handelt sich eben um Kircheneigentum und nicht um den Besitz von Museen oder Privatpersonen. Doch der größte Teil der in den Weiten der ehemaligen Sowjetunion vermuteten 250 000 Kunstgegenstände aus Deutschland stammte nicht aus Kirchen. Wann an anderen Orten ähnliche Feiern wie jetzt in Frankfurt steigen, ist deshalb ungewiss. Auf der Prioritätenliste des Kulturstaatsministers stehen viele Kostbarkeiten: die Sammlung des Bremer Kunstvereins, ein Teil der Gothaer Bibliothek, Kulturgüter der Familie derer von Anhalt, der Nachlass Ferdinand Lassalles oder der Koffer mit wertvollem Inhalt, den Brecht kurz vor dem Kriegsausbruch in Russland zurückgelassen hat.

In Brandenburg hofft Eberswalde auf eine Signalwirkung der Rückgabe der Frankfurter Kirchenfenster. Der 1913 beim Bau einer Siedlung entdeckte Goldschatz – ein Geschmeide aus der Bronzezeit – lagert seit 55 Jahren im Moskauer Puschkin-Museum. Vielleicht sollten die Eberswalder rasch mit den Frankfurtern in einen Erfahrungsaustausch treten, wie sie ihre Attraktion zurückholen können. Die Chancen dafür scheinen gerade jetzt gut zu sein.

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