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Brandenburg: Verlierer und Gewinner leben im Speckgürtel dicht beieinander

Im Selbstlauf wird sich für einen erneuten Anlauf zu einer Länderfusion Berlin-Brandenburg keine Mehrheit finden. Dafür haben sich am Rande Berlins unbemerkt zu viele städtebauliche und wirtschaftliche Probleme angehäuft.

Im Selbstlauf wird sich für einen erneuten Anlauf zu einer Länderfusion Berlin-Brandenburg keine Mehrheit finden. Dafür haben sich am Rande Berlins unbemerkt zu viele städtebauliche und wirtschaftliche Probleme angehäuft. Dieses Fazit stellt sich beim Lesen des neuen Sammelbandes "An den Rändern der deutschen Hauptstadt" ein. Herausgeber Ulf Matthiesen, beschäftigt am Institut für Regionentwicklung und Strukturplanung in Erkner sowie Hochschullehrer an der Humboldt-Universität, listet darin zusammen mit anderen Autoren die Versäumnisse der Politiker auf.

Die öffentliche Debatte um Entwicklungsoptionen der berlin-brandenburgischen Metropolregion sei bisher völlig von der Zentrumsentwicklung Berlins dominiert gewesen, stellt Matthiesen fest. Die Verflechtungszonen an den Rändern der Hauptstadt hätten "bislang nirgendwo die Erregungsschwelle des öffentlichen Diskurses erreicht - mit Ausnahme des Flughafen-Ausbaus von Schönefeld zum europäischen Luft-Drehkranz vielleicht", heißt es. Matthiesen und seine Kollegen wollen die Gebiete beiderseits des Stadtrandes, in denen seit 1990 Zehntausende Menschen ein neues Zuhause gefunden haben, aus der Anonymität holen. Das gelingt ihnen am besten anhand von zwei konkreten Beispielen: Otterstedt und Grünow. Beide Ortsnamen entspringen merkwürdigerweise der Phantasie, obwohl deren wahre Identität nun wirklich nicht schwer zu erraten ist. Dahlewitz am südlichen Stadtrand wird als Verlierergemeinde hingestellt, Kleinmachnow als Gewinner.

"Wie ein Ufo" sei ein "global player" im Märkischen Sand gelandet. Dahinter verbirgt sich der Flugzeugturbinenhersteller Rolls-Royce, der laut Broschüre "regional nicht eingebettet ist". Tatsächlich wohnen die inzwischen rund 1000 Mitarbeiter in Berlin und anderswo, aber nicht vor Ort. Auch die Gemeinde schotte sich gegen diese "Hightech-Kathedrale" regelrecht ab. Nicht unbeträchtliche Teile der Anwohner versuchten, dem Übermaß an "strukturell Fremden in unmittelbarer Nachbarschaft" durch die Kultivierung einer "Nationalpark DDR"-Mentalität zu entgehen. Der Ortspfarrer habe diese Einschätzung getroffen. Erst durch den Sport und einen Geschichtsverein gebe es zaghafte Versuche der Annäherung. Grünow und andere Orte an der Stadtgrenze verlieren dagegen ihre ursprüngliche Mentalität. In Kleinmachnow waren rund 80 Prozent der Grundstücke von Rückgabeansprüchen betroffen. Es kam zu einem in der Geschichte einmaligen "Austausch der Einwohner in den Häusern".

Ulf Matthiesen lenkt die Aufmerksamkeit nicht zuletzt auf ein weitgehend unbeachtetes Konfliktpotenzial: der Streit zwischen Verlierer- und Gewinnergemeinden. Denn der gemeinhin als "Speckgürtel" bezeichnete Rand um Berlin bestehe in Wahrheit nur aus einzelnen "Speckwürfeln". Die PDS, vehemente Gegnerin des ersten Fusionsversuches 1996, habe sich zu einer vorsichtigen Fürsprecherin einer "Vereinigung unter gleichen" gemacht. Gründe seien nicht nur die Defizit-Entwicklungen in den Brandenburger Randgebieten, sondern die unterschiedliche Wachstumsdynamik im berlin-brandenburgischen Metropolenraum selbst.

Für Spitzenpolitiker, Planer und Autoren, die sich erfahrungsgemäß nur selten beiderseits des Stadtrandes aufhalten, haben die Wissenschaftler mehrere Fotos zur Illustration der Lage in ihren Band aufgenommen. Da erdrückt an der Nord-Ost-Kante Berlins ein riesiges Einkaufszentrum wie auch anderswo die kleinen Gemeinden, stehen "Stadtvillen" für sechs bis acht Parteien für das "Wohnen im Grünen" oder trennen Neubauten alte märkische Dörfer in einen reichen und einen armen Teil. Zu kurz kommt in den Beiträgen die Zunahme des Verkehrs. Denn er hat neben Wohnparks und Gewerbegebieten wohl am meisten das Leben am Stadtrand verändert.

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