zum Hauptinhalt
Potentes Mittel.

© dpa

Viagra-Prozess: Wer handelt schon mit Kokain?

Es ist der größte, jemals in Deutschland aufgedeckte Fall von Schmuggel mit gefälschten Potenzmitteln. Am Dienstag beginnt in Potsdam der erste Prozess gegen die Verantwortlichen.

Irgendwer hat sich beschwert. Über Spam im E-Mail-Ordner, über die Massen an Werbe-E-Mails, in denen für Potenzmittel zum unglaublich günstigen Preis geworben wird. Oder weil die im Internet gekauften Potenzmittel nicht die erhoffte Wirkung zeigen. Aber das waren wohl die wenigsten. Wer gibt schon gerne zu, nicht mehr ganz bei seiner Manneskraft zu sein und für den Sex daheim oder auswärts eine Pille schlucken zu müssen.

Das alles ist schon einige Jahr her. Für die Staatsanwaltschaft Potsdam und das Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg aber folgte ein „Jahrhundertverfahren, eines der größten europaweit“ gegen den illegalen Handel mit Potenz- und Schlankheitspräparaten, sagt Zollsprecher Norbert Scheithauer. Eine Bande mit mehr als hundert Mitgliedern wurde zerschlagen. „So etwas passiert einem Ermittler nur ein, zwei Mal in seiner Zeit. Ab Dienstag nun beginnt der erste Prozess in dem Fall, den die Ermittler schlicht „Männerapotheke“ nennen. Sieben Männer und eine Frau sind vor dem Landgericht Potsdam angeklagt. Ein weiterer Prozess wird folgen, elf andere Mitglieder der international agierenden Bande sind bereits angeklagt. Mehr als 100 andere haben Bußgelder gezahlt, sind mit Strafbefehlen belegt worden oder ihr Verfahren ist eingestellt worden.

Rückblick: Im April 2011 zerschlugen die Ermittler das international agierende Netzwerk, das auch von Potsdam und Treuenbrietzen aus agierte. 300 Zollfahnder und mehrere Beamte der Staatsanwaltschaft Potsdam durchsuchten deutschlandweit mehr als 60 Objekte, 40 davon in Deutschland, der Rest in Tschechien. Auch in anderen europäischen Ländern gab es Ermittlungen. Für die Ermittler ist die Bande eine der größten, die mit gefälschten Potenzmittel handelte und jemals auf internationaler Ebene ausgehoben wurde.

Die Bande verkaufte gefälschte Potenzpillen der Marken Viagra, Cialis und Levitra, aber auch Schlankheitsmittel. Hergestellt wurden ein Teil der Pillen in China, bei den Laboruntersuchungen wurden starke Verunreinigungen und schwankende Konzentrationen des Wirkstoffs festgestellt. Andere Pillen aus Indien waren von besserer Qualität, aber nicht in Deutschland zugelassen.

Es war ein einträgliches Geschäft, die Nachfrage in Deutschland und Österreich, wo die Bande die Potenzpillen verkauft hat, war überaus hoch. Denn die Pillen sind billiger als in der Apotheke und rezeptfrei zu haben. 21 Millionen Euro soll die Bande damit eingenommen haben.

Die Herstellungskosten sind äußerst gering, sie liegen pro Pille nur bei wenigen Cent, wissen die Experten bei den Ermittlungsbehörden inzwischen. „Wer heute mit Kokain handelt, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht“, heißt es beim Zollkriminalamt. Der Pharmakonzern Pfizer, der Viagra herstellt und vertreibt, macht eine ganz andere Rechung auf: Beim Verkauf von einem Kilogramm gefälschten Wirkstoffs gegen Erektionsstörungen ist der Profit hundertmal so hoch wie bei der gleichen Menge Heroin.

Der Markt für gefälschte Arzneimittel ist riesig, nicht nur Potenzmittel sind gefragt, sondern vor allem Anabolika zum Muskelaufbau oder andere Dopingmittel. Allein im Jahr 2012 beschlagnahmte der Zoll bei den üblichen Kontrollen von Postlieferungen oder Transporten illegale Präparate mit einem Warenwert von 4,8 Millionen Euro. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen. Allein 2010 stellte der Zoll fünf Millionen illegale Medikamente sicher. Als der Zoll im Frühjahr 2013 im Rahmen einer international, zwischen mehr als hundert Staaten abgestimmten Aktion in Deutschland eine Woche lang gezielt auf Post- und Kurierdienste untersuchte, über die aus dem Ausland gefälschte Arzneien nach Deutschland geschmuggelt werden, bestätigte sich bei 384 Lieferungen der Verdacht, 27 930 Tabletten, Kapseln und Ampullen wurden gefunden, davon waren 3200 Hormon- und Dopingpräparate.

Die Mitglieder der unter anderem von Potsdam und Treuenbrietzen aus gesteuerten Bande konnten sich jedenfalls einiges leisten. Bei der Razzia fanden die Ermittler höhere Bargeldbeträge in unterschiedlichen Währungen, hochwertige Unterhaltungselektronik, aber auch Luxuswagen, die zum Teil deutlich mehr als 100 000 Euro wert waren.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam sicherte jedenfalls vorsorglich für die Staatskasse einen Teil der erzielten Erträge – Gewinnabschöpfung nennt sich das. 2,4 Millionen Euro, also zehn Prozent des Gewinns, sind vorläufig gesichert: Autos, gesperrte Konten, Zwangshypotheken. Für die Staatsanwaltschaft ist diese Summe ein Erfolg, in vielen Verfahren, in denen es um organisierte Kriminalität geht, findet man oft gar nichts mehr, sagen die Ermittler.

Doch wie funktionierte das Netzwerk? Die gefälschten Pillen wurden über den Landweg, aber auch per Schiff und Flugzeug nach Tschechien gebracht, dort gab es sichere Lager. Angeboten wurden die Pillen über einschlägige Seiten im Internet, davon gab es mehrere, sogenannten Klon-Seiten, die beim Anklicken jedes Mal auf ein und dieselbe Seite führten. Für die Seiten waren verschiedenen Webmaster zuständig. Das System was so ausgetüftelt, dass genau registriert wurde und für jeden Webmaster abgerechnet werden konnte, über welche Seite die Kunden zu den Angeboten gelangt sind. Es lag am Webmaster selbst, über Spam-E-Mails und Banner-Werbung möglichst viele Kunden anzulocken. Sie bekamen 25 Prozent vom Umsatz, nicht vom Gewinn.

Als der Zoll bereits „Säcke von Medikamenten“ gefunden hatte, stellte die Bande ihr System um. Von Tschechien aus haben Kuriere die fertig abgepackten Lieferungen über die Grenze geschafft und dann in Deutschland in die Briefkästen geworfen. Um den Zahlungsverkehr abzuwickeln gab es ein weit verzweigtes Netz von Tarnfirmen europaweit. Die Einnahmen aus dem Internethandel sind auf Auslandskonten geflossen und über ein undurchsichtiges System gewaschen worden sein.

Der Potsdamer Oberstaatsanwalt Helmut Lange spricht von einem herausragenden Verfahren, die Belastung für die Behörde war groß. Die Ermittlungen der Abteilung für Wirtschaftskriminalität liefen in ganz Europa, in Österreich, Tschechien, Zypern, Rumänien, Ukraine, Belgien, in der Schweiz, sogar die Behörden in Thailand halfen mit. Drei Potsdamer Staatsanwälte und elf Zollbeamte waren bis jetzt andauernd mit dem Verfahren befasst.

Gegen ein Großteil der mehr als hundert Mitglieder sind die Ermittlungsverfahren bereits beendet worden. Allein 150 000 Euro wurden an Bußgeldern und Geldstrafen gezahlt. In zwölf Fällen sind Strafbefehle ergangen, mit Freiheitsstrafen auf Bewährung und Geldstrafen im vierstelligen Bereich.

Nur den wirklichen Strippenzieher, den Chef der Bande, den haben die Ermittler noch nicht. Der ist in Uruguay. Er ließ von dort aus sogar einige Staatsanwälte bedrohen. Für die Beamten mussten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Der Ärger des Bandenchefs darüber, dass sein lukratives Netzwerk ausgehoben wurde, ist offenbar groß.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false