zum Hauptinhalt

Homepage: Der Mythos Leningrad

Stalin und der Stalinismus in einer Vortragsreihe des Zentrums für Zeithistorische Forschung

Stalin und der Stalinismus in einer Vortragsreihe des Zentrums für Zeithistorische Forschung Das 1941 bis 1944 von der deutschen Wehrmacht 900 Tage lang belagerte Leningrad war Thema der Auftaktveranstaltung einer neuen Vortragsreihe „Stalinismus – Fragen an ein europäisches Thema“ in der vergangenen Woche. Die Reihe wird vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) gemeinsam mit dem Geschichtsinstitut der Humboldt-Universität und dem Deutschen Historischen Museum Berlin veranstaltet. Dr. Jörg Ganzenmüller (Universität Jena) ging der Frage nach, warum die Menschen im heutigen St. Petersburg ein Regime verteidigten, das sie terrorisierte, ihnen materielle Entbehrungen auferlegte und ihnen jegliche Freiheit nahm. Für die russische Öffentlichkeit begründet sich der „Mythos Leningrad“ bis heute auf der aufopferungsvollen Verteidigung „der Heimat und der sozialistischen Ordnung“ und in Stalins Führungsfähigkeiten, wie sogar noch Gorbatschow schrieb. Die westliche Stalinismusforschung nahm dagegen den russischen Patriotismus als Integrationsideologie. Ganzenmüller meint jedoch, dass das auch im Frieden durch Gewalt gegen die Bevölkerung geprägte stalinistische System während der Blockade in Leningrad weiterwirkte. Gegenüber den Brüchen hätten die Kontinuitäten deutlich überwogen, erklärte er. So wurden wie schon in den 30er Jahren „generell verdächtige“ Bevölkerungsgruppen deportiert (allein im Winter 1941/42 130 000 Personen deutscher und finnischer Nationalität), Tausende Deserteure erschossen, 5360 Kriminelle hingerichtet, mehr als 100 politisch unzuverlässige Wissenschaftler festgenommen und 13 von ihnen zum Tode verurteilt. Dieses System der Repression wurde wie auch vorher üblich mit kommunistischer Agitation und der Stachanow-Bewegung der Bestarbeiter verbunden, so für die Lkw-Fahrer, die über das vereiste Meer unter ständigem deutschen Beschuss Rüstungsgüter und Lebensmittel für die Stadt heranholten. Sie sollten täglich zwei Touren (700 Kilometer) schaffen Ganzenmüllers Thesen werden sicher nicht unwidersprochen bleiben, vor allem nicht in Russland. Auch Dr. Lars Karl (ZZF) wies in seinem Kommentar zum Vortrag darauf hin, dass die ideellen, im Patriotismus und in der kommunistischen Weltanschauung liegenden Motive für die Verteidigung Leningrads richtig gewichtet werden müssen. Die Auftaktveranstaltung lässt auf eine hochinteressante Auseinandersetzung mit dem Stalinismus hoffen. Die Idee für das Projekt hatte der junge ZZF-Wissenschaftler Albrecht Wiesener, der darin vom neuen Direktor Dr. Martin Sabrow bestärkt wurde. „Unser Institut wird manchmal einseitig als Forschungsstätte zur DDR-Geschichte wahrgenommen. Mit der Reihe wollen wir deshalb auch darauf aufmerksam machen, dass sich unser Forschungsfeld über ganz Osteuropa erstreckt“, erklärte Wiesener. Wer die Vorträge hören will, muss zunächst nach Berlin fahren. Als nächstes folgen jeweils ab 18 Uhr Beiträge über den Stalinkult (2.Februar, Historisches Museum, Kinosaal), Stalinismus und Imperium (28. April) und über den „Neuen Menschen als stalinistisches Projekt“ (16. Juni, jeweils in der Humboldt-Uni, Unter den Linden 6). Den Abschluss findet die Reihe jedoch in Potsdam. Hier wird ZZF-Direktor Sabrow am 23. Juni, 18 Uhr, im Alten Rathaus das spannende Thema „Gab es eine stalinistische DDR?“ behandeln. Am selben Ort spricht Dr. Gerd Koenen am 7. Juli über westliche Bewunderer Stalins. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false