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Landeshauptstadt: Hobby zum Beruf gemacht

Immer mehr Potsdamer versuchen sich durch Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit zu befreien

Immer mehr Potsdamer versuchen sich durch Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit zu befreien „Wir würden das Wagnis der Selbstständigkeit immer wieder eingehen“, sind sich die Brüder Steffen und Falk Richter einig. Die beiden haben aus der Not, einen Job zu finden, für sich eine Tugend gemacht und ein kleines Unternehmen gegründet. Seit April 2004 trägt Steffen Richter den Titel des Geschäftsführers von Malignancy Records, sein Bruder Falk ist bei ihm angestellt. Gemeinsam handeln sie mit Heavy Metal-Vinylscheiben und vertreiben CDs von kleineren Bands aus der Szene. „Wir haben unser Hobby zum Beruf gemacht“, sagt Steffen Richter. Gefördert wurde dies von der Arbeitsagentur. Die Brüder sind nicht die einzigen Potsdamer, die im letzten Jahr den Schritt zum eigenen Chef gewagt haben. Die Hartz IV-Reform habe schon „im Vorfeld zu einem kleinen Boom“ von Existenzgründungen geführt, so die Beobachtung von Beate Wolling, Sprecherin der Arbeitsagentur in Potsdam. „Besonders in den letzten drei bis fünf Monaten hatten wir eine deutliche Steigerung der Anträge auf Förderung von Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit heraus“, sagt Wolling. Die Arbeitsagenturen bieten zwei Arten von Zuschüssen zur Existenzgründung: Die „Ich“-AG und das Überbrückungsgeld. Wer das Modell der „Ich“-Ag wählt, bekommt bei dreimaliger Bewilligung drei Jahre lang Geld – erst 600, dann 360 und im dritten Jahr 240 Euro. Die Bedingung dabei: Rentenversicherungsbeiträge müssen bezahlt werden. Dies ist beim so genannt Überbrückungsgeld anders, dort ist der Geförderte frei in der Wahl ob Rentenbeitrag oder nicht. Die ausgezahlte Summe entspricht in jedem Fall der Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes zuzüglich einer Pauschale zur Renten- und Krankenversicherung. Doch vor der Förderung kommt der Gang zu verschiedenen Institutionen und Ämtern. Steffen Richter musste sein Konzept bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) vorlegen und nachweisen, dass sein Geschäftsplan tragfähig ist und Gewinne abwerfen kann. „Wir hatten eine Nischenidee, die dort auf Anklang stieß“, sagt Richter. Nun verkaufen er und sein Bruder die Platten per Internet oder fahren zu Metal-Konzerten und verkaufen den Fans dort ihre Tonträger. Nicht jeder Arbeitslose hat mit dem Wunsch nach Selbständigkeit schon ein fertiges Konzept im Hinterkopf. Doch immer mehr Jobsuchende wollen eine eigene Existenz aufbauen. Den Rekord von 391 Neuanmeldungen verzeichnete die Potsdamer Handwerkskammer (HWK) im Dezember 2004, sonst waren es immer nur 200. „Wir fürchten, dass viele ohne ausreichende Vorbereitung in die Selbstständigkeit starten“, sagt Ute Maciejok, Sprecherin der HWK. Ähnlich ist die Position der IHK: Mehr Bewerber mit weniger fachlicher Qualifikation, so deren Tenor. Auch Zahlen der Arbeitsagentur belegen den Trend: Im Dezember 2004 nahmen in den Arbeitsagenturen der Region Potsdam 952 Personen Überbrückungsgeld in Anspruch, ein Anstieg um 20 Prozent. Dazu wurden 3991 „Ich“-Ags gefördert, sogar 140 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Seit November gilt deshalb auch für die „Ich“- Ag, dass vor der Förderung eine „Tragfähigkeitsbescheinigung“, etwa von der IHK vorliegen muss. Um den Sprung in die Selbstständigkeit zu schaffen, gibt es Programme wie den Lotsendienst des Landes Brandenburgs. Eine Stelle davon ist die Biaw GmbH für Existenzgründer in der Otto-Erich- Straße 11 bis 13. Ulrike Samtleben und Bernd Freund betreuen dort angehende Selbstständige und vermitteln ihnen kostenlose Coaching-Kurse bei Unternehmensberatern. „70 Prozent der vom Lotsendienst begleiteten Gründer sind auch nach drei Jahren noch auf dem Markt“, sagt Samtleben. Auch Steffen und Falk Richter nahmen an Seminaren teil, die sie auf ihre eigene Firma vorbereiteten. Nun sind sie seit knapp einem dreiviertel Jahr aktiv. „Bei den Bestellungen über das Netz könnte es besser laufen, die Stände vor Ort sind aber erfolgreich“, sagt Steffen Richter. Er gibt sich verhalten optimistisch. „Wir sind auf einem guten Weg von den Einnahmen leben zu können.“ Henri Kramer

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