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Landeshauptstadt: Ideale Steilvorlagen für einen geschickten Taktiker

SPD-Generalsekretär Olaf Scholz traf im Babelsberger Rathaus ein friedfertiges Publikum aus dem einst „roten Nowawes“

SPD-Generalsekretär Olaf Scholz traf im Babelsberger Rathaus ein friedfertiges Publikum aus dem einst „roten Nowawes“ Von Erhart Hohenstein „Wie ist es der SPD gelungen, innerhalb kurzer Zeit so große Bevölkerungsteile gegen sich aufzubringen?“ Selbst diese provokante Frage konnte Olaf Scholz, den Generalsekretär der Sozialdemokraten, nicht aus der Ruhe bringen. Der Rechtsanwalt mit Bundestagswahlkreis im Hamburger Nobelviertel an der Elbchaussee hatte sich glänzend auf die Verhandlung, sprich das Montagabend-Gespräch der SPD im Rathaus Babelsberg, vorbereitet. In Deutschland sei es seit 1945 ununterbrochen bergauf gegangen – was auf den Osten allerdings nicht zutrifft – , deshalb seien die Menschen mit der jetzigen schwierigen Situation, die Einschränkungen notwendig mache, überfordert und kehrten sich von der Regierungspartei ab. Beredt verteidigte Scholz die von der SPD auf den Weg gebrachten Reformen. Selbstverständlich wurde der SPD-Spitzenfunktionär aus dem Publikum auf die hohe Arbeitslosigkeit, die Lohnungleichheit zwischen Ost und West, die Rentenabsenkung, die Praxisgebühren und steigenden Medikamentenzuzahlungen hingewiesen. Aber da zeigte er sich ähnlich souverän wie in der Frage nach dem Wählerschwund. Taktisch geschickt gab der Generalsekretär keine Antwort als Parteisoldat, sondern leitete seine Argumente stets aus persönlichen Erfahrungen ab. Ein Teilnehmer hatte auf die Ausgliederung der Kraftfahrer und Schlosser aus der Havelbus-Gesellschaft hingewiesen, die nun in einem für sie neugegründeten Unternehmen wesentlich weniger Lohn erhielten. Antwort: Für Lohnfragen ist der Staat nicht zuständig, dies sei Sache der Tarifpartner. Das erinnerte an einen Advokatentrick, denn Scholz trat ja als Generalsekretär der Sozialdemokraten auf. Die hatten sich, wenn die geschichtliche Überlieferung nicht trügt, bei ihrer Gründung eine gerechte Entlohnung der Arbeiter auf die Fahnen geschrieben. Von den besser Verdienenden und den Vermögenden müsse ein größerer Solidarbeitrag zur Rettung des Sozialsystems geleistet werden, wurde mehrfach aus dem Publikum gefordert. Da sei man nicht recht weiter gekommen, räumte Scholz ein – schob aber den Schwarzen Peter der CDU/CSU zu, die Fortschritte blockiere. Der SPD-Generalsekretär verteidigte außerdem die hohen Abfindungen für Führungskräfte wie Florian Gerster, weil diese kurzfristig entlassen werden könnten. All dies ließ ihm das Publikum durchgehen. Einige wenige Zwischenrufe wie „Da lachen ja die Hühner“ verhallten kläglich. Das kämpferische „rote Nowawes“ ist eben schon lange tot. Und das ist auch gut so, denn die Periode, in der mit der DDR dessen Vorstellungen Realität wurden, hat ja nicht gerade zum Segen gereicht. Zur versöhnlichen Atmosphäre trug eine Gruppe junger Sozialdemokraten bei. Mit ihren braven Fragen gaben sie Scholz ideale Steilvorlagen für seine Redekünste. Unterdrückte Heiterkeit löste die Anfrage einer hübschen knapp über 20-Jährigen aus, wie man denn der in Deutschland grassierenden Kinderarmut beikommen könne. Der SPD-Generalsekretär verkniff sich die naheliegendste Antwort.

Erhart Hohenstein

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