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Prof. Julius H. Schoeps zur Zukunft der Jüdischen Gemeinden

Prof. Julius H. Schoeps zur Zukunft der Jüdischen Gemeinden Der in der vergangenen Woche zum stellvertretenden Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlins gewählte Leiter des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums , Prof. Julius H. Schoeps, hat sich skeptisch darüber geäußert, das sich antisemitische Vorurteile überwinden lassen. In einem Interview mit der Zeitung „Aufbau“ sagte er unlängst, dass der Aufklärung bei der Überwindung von Vorurteilen Grenzen gesetzt sind. „Das darf uns aber nicht hindern, das Wort gerade dort zu erheben, wo Unrecht geschieht und Vorurteile in ihren militanten Ausprägungen das Bewusstsein und das Handeln der Menschen bestimmen“, so der Historiker. Dem Antisemitismus sei allerdings mit Vernunft nicht beizukommen. „Ein Antisemit hört nicht auf, ein Antisemit zu sein, wenn man es von ihm fordert“, so Schoeps. Ein gutes Beispiel dafür sei der Fall des CDU-Abgeordneten Hohmann gewesen, der die Juden mit dem Begriff „Tätervolk“ in Verbindung gebracht hatte. Er enstpreche dem „Typus des Antisemiten, der glaubt, sich antisemitisch äußern zu müssen, aber im Brustton der Überzeugung erklärt, kein Antisemit zu sein.“ Zur Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sagte der Professor für Neuere Geschichte der Universität Potsdam, dass sie nur eine Zukunft habe, wenn die in Deutschland lebenden Juden bereit sind, sich Gedanken über ihre Gemeinschaft zu machen. „Ich habe allerdings den Eindruck, als ob man bewusst vermeidet, eine wie auch immer geartete Selbstverständnisdebatte zu führen“, sagte Schoeps. Es fehle der Mut, wirklich wichtige Fragen zu stellen, etwa was es heißt, in der deutschen Gesellschaft der Gegenwart Jude zu sein. „Reicht es aus, auf Tradition und Ritual zu beharren, ist es nicht notwendig, auch von jüdischer Seite Antworten auf uns alle beschäftigende Gegenwartsfragen anzubieten“, fragt der Historiker. Ein Grund dafür, dass es solche Debatten in Deutschland nicht gibt sieht Schoeps in einer „fatalen Spätfolge“ der Shoa: Manche Juden hätten vor diesem Hintergrund Schwierigkeiten, sich im Spiegel anzuschauen. „Manchmal habe ich den Eindruck, als ob man eine geradezu panische Angst davor hat, sich selbst zu befragen“, stellt Schoeps fest. Die meisten Gemeindemitglieder hätten zudem nur unklare Vorstellungen von ihrem Judesein und diffuse Vorstellungen von ihrer Konfessionalität. Viele von den die sich als „orthodox“ bezeichnen würden nicht einmal regelmäßig den Gottesdienst besuchen und sich im täglichen leben an die Speisegesetze halten. Schoeps gehört wie auch der neu gewählte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Albert Meyer, gehören einer Nachkriegsgeneration an, die stark vom liberalen Judentum in Deutschland geprägt wurde, das die Nationalsozialisten mit dem Holocaust fast ganz ausgelöscht hatten. Ihre Familien sind seit Generationen mit der Geschichte Preußens und dem deutschen Judentum eng verbunden. In ihren neuen Ämtern wollen sich die beiden der besseren Integration der Auswanderer aus der einstigen Sowjetunion widmen – in Berlin etwa zwei Drittel der 12 000 Gemeindemitglieder. Schoeps – zuständig für Bildung und Kultur – hatte zuvor angekündigt, die Berliner Gemeinde aus den Negativschlagzeilen bringen zu wollen. Man will die Finanzen sanieren und der Gemeinde wieder ein Gesicht geben. Die Angriffe einzelner Gemeindemitglieder die ihn vergangenes Jahr als Feind des Staates Israel bezeichnet hatten, wies Schoeps als Diffamierung zurück. Zur Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte äußerte sich Schoeps positiv. Mittlerweile habe man über 400 Studierende im Studiengang „Jüdische Studien „ in Potsdam, in dem die deutsch-jüdische und europäisch-jüdische Geschichte ein zentraler Bestandteil sind. Schoeps selbst arbeitet derzeit an einem Buch mit dem Arbeitstitel „Zur Pathologie des deutsch-jüdischen Verhältnises“. Darin will er der Frage nachgehen, wie es zu den „Verwerfungen“ im deutsch-jüdischen Beziehungsverhältnis gekommen ist und wie diese bis in die Gegenwart nachwirken. Jan Kixmüller

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