zum Hauptinhalt

Kultur: „Alles für unsere Engel“

Esoterisch und „engelisch“: Jürgen Fliege in der Nikolaikirche

Esoterisch und „engelisch“: Jürgen Fliege in der Nikolaikirche Vierzig Jahre führte der Herr das Volk Israel durch die Wüste, vierzig Tage fastete Jesus, genauso lange währt auch die Weihnachtszeit, bis zu Mariae Lichtmess am 2. Februar. Mit solch sinnierenden Worten folgte der bekannte Nachmittags-Talker Jürgen Fliege den Schritten seiner Lebensgefährtin Mechthild Seitz, die mit einem wunderbaren gregorianischen Solo durch den dunklen Mittelgang der Nikolaikirche zum Altar schritt. Zusammen mit ihrem Bruder Stefan holte das Trio am Freitag ein für den 11. Dezember geplantes Benefiz zugunsten der restaurationsbedürftigen Engel an St. Nikolai nach. Das Gestühl war etwa zur Hälfte besetzt, der Eintrittspreis nicht gering, überall festliche Kerzen. Man habe sich hier „im Namen der vier Engel“ versammelt, weil man auf der Suche nach einer Ordnung sei, „die uns hilft, unser Leben zu leben", so führte Fliege in die spirituell ausgerichtete Andacht seiner Theologie ein. Symbolisch stünden die Engel, deren drei nur die Bibel erwähne, für Schutz und Führung der Menschen, „dort anzukommen, wo wir hergekommen sind", wobei nichts zufällig sei, keine Geburt, auch kein Vorname, den zu „erfüllen“ ein jeder aufgerufen ist. „Ich heiße Jürgen, eine Form von Georg. Wisst Ihr, was das heißt? Bauer. Schaut, ich habe grobe Hände, und bin es geworden“. Solche Reden schafften zuerst einmal Nähe, Vertrauen, auch wenn der gelernte Pfarrer sich, im Angesicht seiner Gemeinde, im Dunkeln hielt. Dann stellte er klar, dass manches an der Weihnachtsgeschichte, weil „historischem Denken“ verpflichtet, „nicht stimmen kann“. Anderes hält er für „Dichtung“: Jesus sei „sehr wahrscheinlich“ in Nazareth geboren, nicht zu Bethlehem. An dieser Stelle, kaum ein Zufall, streikte sein Mikro. Die Jungfrauengeburt? „Ist doch Quatsch!“. Wie Jesus von seinen fußballspielenden Kameraden Josua gerufen wurde, wodurch er in der spirituell gedachte Erbfolge des gleichnamigen Mose-Nachfolgers stehe, so war seine Mutter Miriam, „die Bittere“; dass dieses Wort Maria auch die Bitternis des Meeres benennt, sagte der hehr raunende Redner nicht. Mit „Jungfrauengeburt“ sei das Volk Israel gemeint, welches, nach der Prophezeiung Jesajas, den Erlöser „mit Eigenschaften einer Frau“ hervorbringen werde. All das vereine sich in der mystischen Zahl Fünf. Er hält das auserwählte Volk („die Braut“) also für jungfräulich, rein: Hätte es dann so vieler Propheten bedurft, die so oft von Gott abgefallenen Semiten immer wieder zur Ordnung zu rufen? Jedenfalls sieht Fliege die kommende mystische Hochzeit der Juden „im Liebesrausch mit Gott Jahwe“. Solistisch und im Duett gab das Geschwisterpaar passende Musik adagio dazu, Stefan Seitz am (manchmal zu hart klingenden) Piano Gospel und Spirituals, seine Schwester, eine auch stimmlich ausgebildete Kirchenmusikerin, sang Weihnachts- und Klagelieder um Jesus und Maria, meist in moderneren Arrangements. „Gloria in excelsis“ zu singen, waren dann alle gebeten. Auch in der Auslegung der drei Weisen aus dem Morgenland erwies sich der talkende Pfarrer als durchaus origineller Denker: „Als wir noch auf den Bäumen lebten“ (Darwinisten werden jubeln), gab es im Irak bereits eine Hochkultur, und es waren drei namenlose Astrologen, welche dem Christuskind Gold, Weihrauch („da ist ein Rauschmittel drin, die katholischen Priester schnüffeln also ein bisschen") und Myrrhe brachten, zum Zeichen, dass es König, Priester und Arzt der Welt werden würde, ein Fürst des Friedens. Keiner von ihnen war schwarz, erst „die Kirche“ habe sie mit Namen versehen und zu Vertretern von drei Kontinenten und Kulturen gemacht. Zurück zu den Engeln, „die Krone dieser Kirche“ St. Nikolai: In diesem Topos sei „Wirklichkeit drin“, sie führen aller Menschen Geschicke, wissen alles im Voraus, denn „sie haben Überblick“. Ein Engel des Herrn habe Maria den Namen ihres künftigen Kindes genannt. Auch er sei nicht etwa zufällig hier, seine Mutter wäre nicht zufällig seine Mutter, „der Himmel wollte, dass sie mit mir schwanger wird“. Der Tutzinger „will wissen, was der Engel weiß, was ich nicht sehen kann“. Das Leben jedenfalls sei in einer Ordnung, „die längst feststeht“, alle seien in sie hineingeboren, und wer aus der Weihnachtszeit ist, habe auch das Recht zu fragen, „wo wir herkommen“. Man versuchte sich also an einem esoterisch und „engelisch“ orientierten Christentum. Trotz trüben Regielichts gab es viel Beifall für den Fernseh-Promi. Auch für seine musikalische Begleitung. Jeder einzelne Besucher wurde dann von Jürgen Fliege an der Pforte höchst eigenhändig verabschiedet. Gerold Paul

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false