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Kultur: Authentisch

Thomas Blisniewski über Leidenswerkzeuge Jesu

Alles, was mit Jesus in seiner Passionszeit in Berührung kam, wurde von den nachgeborenen Theologen erhöht, besonders die Leidenswerkzeuge wie Kreuz, Geißel, Dornenkrone, Lanze, Schwamm, Martersäule, Nägel, und vieles andere. Irgendwann genügte das den frommen Theologen nicht mehr. Nun reihten sie auch eher sekundäre Dinge in ihre „Folterliste“ ein: Den Stein, auf dem Jesus beim Verhör des Pilatus stand, die Spottgebärden der Kriegsknechte, ihre Würfel, den Judaskuss, sogar den Hahn, der dreimal krähte, als Petrus den Menschensohn verleugnete: Was Jesus je berührte oder was ihn gemeint hat, wird heilig, wird damit Reliquie. Wer nun solche „Heiligtümer" seinerseits berührte, kommt der eigenen Erlösung oder zumindest der Lösung eines wichtigen Problems einen guten Schritt näher. So sah es das vermeintlich finstere Mittelalter. So stellte es der promovierte Kunstwissenschaftler Thomas Blisniewski am Dienstag in seinem Diavortrag über die Leidenswerkzeuge Jesu („arma Christi“) in der „arche“ dar.

Bei solchen Themen kreuzen sich ja Religions- und Kunstgeschichte, Ikonographie und Esoterik, Wort und Gebärde, Geste und Bedeutung. Blisniewski begrenzte seinen wort- und bildreichen Vortrag auf die mittelalterliche Bilderwelt, die ja notwendig war, weil so viele nicht lesen konnten, und deren kunstreiche Meister meist so anonym sind, wie ihre theologisch-verschlüsselten Rätsel ungelöst bleiben. In der Tat unterscheidet sich dieses Mittelalter radikal von der heutigen Denk- und damit auch Abbildungsart.

Damals war die Welt noch vertikal gegliedert. Oben der Himmel – er wurde nie abgebildet, nur der Weg zu ihm –, dann das Menschenreich, darunter die Hölle. Und es gab noch mehr Gleichzeitigkeit als heute. Entgegen aller Folge-Richtigkeit findet man auf vielen Darstellungen den bereits wieder erwachten Christus am Kreuz, die eigenen Folterwerkzeuge haltend. Die damalige Theologie wollte ja gerade durch Passionsfrömmigkeit und Leidensnachfolge den Weg zur Erlösung weisen – lange vor Luthers Zeit. Wie die Formulierung „Als Mensch tot, als Gott erstanden“ die Ikonographie des Mittelalters beherrscht, so war die Parole „Mitleiden und Mitleid erleben“ dafür das Medium: Je mehr Folterwerkzeuge, desto größer die Schaufrömmigkeit. Das Martergerät, das Blisniewski mit seinen Dias zwar vielfach bewies, dafür aber das Marterzeug nicht weiter erforschte, war fortan als Motiv immer dabei. Sogar auf Bildern mit dem Jesus-Kind. Dafür stand die Auferstehung so gut wie nie im Zentrum der damaligen Bildwelt. „Gleichzeitigkeit“ findet man auch auf den Bildern, wo die ganze Passion oder das gesamte Leben Jesu Christi in einem einzigen Tableau erzählt werden. Hier vermisst der moderne Menschen sofort den Zusammenhang, die Linearität, das Nacheinander. Gemeint war: Es gibt keinen Anfang, kein Ende in diesen vielen Subbildern. Wie man sie gerade betrachtet oder befragt, so erzählen sie ihre Geschichte. Auch bei der „Authentizität“ unterscheidet sich dieses immer heller werdende Mittelalter vom Dunkel der Neuzeit: Heute ist nur das eine Original authentisch, damals stellte man Reliquien, auch Folterwerkzeuge, massenhaft und vielerorts aus. Gefälscht? Nein, was immer von einem heiligen Gegenstand berührt worden ist, wird selber heilig, und damit authentisch. Man hatte einfach Nagel an Nagel gehalten – und fertig war die Serie von Originalen. Aber das glaubt ja heute doch keiner mehr. Gerold Paul

Gerold Paul

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