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Kultur: Die Wahrheit auf die Bühne bringen

Der „Potsdamer Theaterpreis 2003“ des Förderkreises ging an Gertraud Kreißig und Marek Hertel

Der „Potsdamer Theaterpreis 2003“ des Förderkreises ging an Gertraud Kreißig und Marek Hertel Sie weiß noch immer zu überraschen. Auch nach 32 Theaterjahren fördert Gertraud Kreißig mit feinsinnigem Gespür immer neue Facetten ihrer Darstellungskraft zu Tage. Nichts in ihrem Spiel wirkt abgenutzt oder eingefahren. Ihre Figuren sind von großer Ehrlichkeit durchdrungen und strahlen von innen heraus. Inzwischen hat sich die Schauspielerin kurz nach ihrem 65. Geburtstag als dienstältestes Ensemblemitglied vom Hans Otto Theater verabschiedet. Ihr beherztes Spiel wird man hoffentlich dennoch in zahlreichen weiteren Inszenierungen bewundern dürfen: nunmehr als Gast. Es war also eine fast zwingende Entscheidung, den Theaterpreis 2003 an diese kleine zierliche Frau mit dem großen Temperament zu übergeben. Der Intendant Ralf-Günter Krolkiewicz geriet dann beim Festakt am Sonnabend in der Reithalle A auch geradezu ins Schwärmen. „Sie ist eine Schauspielerin, die mir immer Vorbild war und die ich sehr verehre. Sie hat alle Höhen und Tiefen des Hauses durchschritten und es künstlerisch mitgeprägt.“ Er erinnerte an ihre großen Rollen Maria Stuart oder die Lena in „Buschmann und Lena“ und an die ihr wichtigsten Regisseure Günter Rüger und Rolf Winkelgrund. Vor allem sei es ihre Kompromisslosigkeit gewesen, die er an ihr schätzte. „Niemand konnte sie zu irgend etwas zwingen. Gertraud ließ sich nicht verbiegen.“ Krolkiewicz dachte zurück an die Inszenierung „Harold und Maude“, der Gertraud Kreißig anfangs mit größter Skepsis bis zur Ablehnung gegenüberstand. „Was habe ich mit dieser Maude zu tun?“, fragte sie rigoros. „Doch dann wärmte sie sich mit dieser verrückten alten Dame an und füllte sie schließlich mit ihrer großen Persönlichkeit aus. Gertraud hat nichts nur halb gemacht. Ich wünsche, meine Nachfolger sind so klug, sie als Gast wieder ans Haus zu holen.“ Den Potsdamer Theaterpreis 2003 im außerkünstlerischen Bereich nahm dann der 29-jährige Ausstattungsassistent Marek Hertel entgegen, für den diese Auszeichnung offensichtlich völlig überraschend kam. Ihm bescheinigte Krolkiewicz ein „unglaubliches Engagement, große Gewissenhaftigkeit, außerordentliche Kollegialität und Liebenswürdigkeit“. Marek Hertel tat sich bislang aber nicht nur als „Mädchen für alles“ hervor, er konnte sich bereits auch als eigenverantwortlicher Bühnen- und Kostümbildner beweisen, wie in „Die Männer“ und demnächst in „Die Zofen“. Dr. Christian Czychowski vom Preis stiftenden Förderkreis des Theaters nutzte die Gelegenheit, um bei grundsätzlichen Fragen der Kulturpolitik nachzuhaken. „Muss Theater sein? Muss Theater gerade in Potsdam sein? Muss es ein solches Theater ums Theater geben?“, benannte er einen immer wieder vom Zaum brechenden Disput. Um die Antworten auszumachen, schlug er den Bogen bis zu den alten Griechen zurück. „Man kann die sozialen Probleme und gesellschaftlichen Spannungen mit stumpfem Sinne hinnehmen. Die Gesellschaft kann sich aber auch ihrer annehmen und die Menschen hellhörig machen. Dabei wiederum könnte das Theater helfen, wie es schon die Dramen in der Antike taten. Ich glaube fest, dass ,Deutschland sucht den Superstar“ oder die ,Dschungel“-Dokusoap nicht die einzige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sind.“ Für ihn sei klar: Theater muss sein. Auch Theater in Potsdam. „Es kann zu einem anderen Leben verführen. Und dazu würde ich mir das nachhaltige Bekenntnis der Politik wünschen. Es muss auch zur jetzigen Zeit möglich sein, mehr Geld zu mobilisieren.“ Und Dr. Czychowski beendete seine sinnstiftende Rede mit dem Schluss-Zitat aus dem Chor der „Medea“: „Vieles wirken unverhofft die Götter, was man erwartet, vollendet sich nicht, für das Unerwartete findet Gott einen Weg.“ Der sichtbare Gestalt annehmende Neubau in der Schiffbauergasse sollte nach all“ dem unwürdigen Vertrösten und Gezerre nun endlich zu diesem Unerwarteten gehören. Ob Gertraud Kreißig die Gelegenheit dazu erhält, auf diese lang ersehnten Bretter stehen zu dürfen? Sie wünscht es sich sehr, weiß aber auch, wieviele Steine sich auftürmen könnten. Die Protagonistin möchte noch oft auf der Bühne über gesellschaftliche Konflikte nachdenken können. „Für mich ist Theater eine Schule der Weisheit. Durch meinen Beruf hatte ich die Chance, viele Leben zu leben.“ Sie tat dies seit 1971 in Potsdam, dort, wo sie alle Traumrollen hoch und runter spielen durfte. In die „Hack-Ordnung“ größerer Bühnen wollte sie sich nicht einordnen, „dafür fehlten mit die nötigen Ellenbogen.“ Auf keine ihrer Rollen schaut sie mit bevorzugtem Auge zurück: Jede sei auf ihre Weise etwas Besonderes gewesen, ob die verführerische Titania im „Sommernachtstraum“, die charmante und praktische Wirtin „Mirandolina“ oder die schlagfertige Mutter Wolffen im „Biberpelz“. „Man kann fast sagen, dass Gertraud Kreißig den Theaterpreis für ihr Lebenswerk erhielt“, meinte die ehemalige Chefdramaturgin Irmgard Mickisch. Sie war eine der langjährigen Wegbegleiterinnen, die sich in die übersichtliche Schar der gratulierenden Kollegen einreihte. Für Irmgard Mickisch gehört Gertraud Kreißig zu den großen guten Schauspielern, die im Privaten ganz bescheiden sind und nicht viel Wirbel um sich machen, dafür aber auf der Bühne umso mehr auffallen. „Ich halte Gertraud Kreißig für eine Bauchschauspielerin, die nicht lange grübelt und theoretisiert. Sie hat diese schöne Kombination von Denken und Fühlen in ihren Rollen komprimiert. Gertraud lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Sie rückt raus mit dem was, was sie bedrückt.“ Für die Preisträgerin selbst ist das Theater vor allem deshalb wichtig, weil sie mit ihm die Wahrheit auf die Bühne bringen kann. Wie jetzt als die Närrin im „König Lear“, wo sie scharfsinnig über Wahnsinn und Verstand, Lüge und Wahrheit reflektiert. „Du hättest nicht alt werden sollen, eh“ du klug geworden wärst.“ Gertraud Kreißig fühlt sich heute mit 65 nicht anders als in den Jahren zuvor, auch wenn sie jetzt ständig danach gefragt wird. „Ich habe noch immer die gleichen Sehnsüchte, die gleichen Ängste, die gleichen Fragen.“ Und mit diesem menschlichen Reichtum sollte sie noch viele Rollen beseelen dürfen. Heidi Jäger

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