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Kultur: Lesen!

Das literarische Jahr in Potsdam

Das literarische Jahr in Potsdam Bernhard Schlink, Stewart O´Nan, Walter Kempowski. Man kann Kulturhauptstadt Europas werden, ohne eine zu sein. Oder keine werden und doch eine sein. Das bizarrste Bild dazu am Ende des vergangenen Jahres: das Team, das sich um die Bewerbung kümmern soll, macht einen Presse-Termin daraus, wie es mit aus übriggebliebenen Werbeflyern herausgeschnittenen Weihnachtbäumchen eine Tanne schmückt. Nicht jedoch geschah dies, was vielleicht noch einen gewissen Effekt gehabt hätte, vor dem Brandenburger Tor in Berlin, sondern auf der im Winter sterbenseinsamen Freundschaftsinsel. Rolf Hochhuth, Thomas Brussig, Christa Wolf. Über den Geldmangel wurde auch in vorigen Jahren immer geklagt. Im letzten Jahr kam durch die gut durch die Medien zu verfolgenden Bemühungen zur Kulturhauptstadtbewerbung die Erkenntnis hinzu, dass ein Mangel an Gestaltung, Ideen und Visionen noch lähmender sein kann. Herta Müller, Ulrich Plenzdorf, Wilhelm Genazino. An der Aufzählung der literarischen Highlights in Potsdam, die von einer Vielzahl kultureller Träger angeboten wurden, läßt sich anschaulich machen, wo die Aufgaben einer finanziell klammen, aber kreativen und kooperativen Stadt liegen könnten. György Konrad, Robert Menasse, Frank Schirrmacher. Schaut man auf das an Güte und Dichte vortreffliche literarische Jahr 2004 in Potsdam zurück, so staunt man, dass dieses Angebot eher trotz als durch das Kulturamt zustande kam. Aber auch Gesten sind wichtig: die Veranstalter, die international renommierte Autoren in die Stadt holten und ein großes finanzielles Risiko eingingen, hätten sich auch über eine Anerkennung der Stadt gefreut. Denn auch dafür wurde gewählt: durch Präsenz Wertschätzung erweisen, durch Gespräche verbinden und so eine wahrhaftige Kultur-Gemeinschaft schaffen. Was in dieser Stadt im letzten Jahr wegen Mangels gut zu studieren war: Kultur sollte immer auch politische Kultur bedeuten. Martin Suter, Friedrich Christian Delius, Wibke Bruns. Potsdam ist, obwohl am Rande des Berliner Strudels, durch die Hilfe vieler zu einer heimlichen Lesestadt geworden. Das in seiner Funktion unschätzbar wichtige Brandenburgische Literaturbüro zuvorderst, aber genauso die Stadt- und Landesbibliothek und der kleine Literaturladen von Carsten Wist, die Buchhandlung „Das Internatioanle Buch“, engagierte Studierende, die URANIA in den Privatgärten und das Hans Otto Theater, sie alle sorgten dafür, dass in Lesungen und Diskussionen von aktuellen Romanen und Sachbüchern Erfahrung und Wissen, ja auch Weisheit weitergegeben werden konnte. Auch Vorlesen kann bilden. Jens Bisky, Christoph Hein, Volker Braun. Politische Kultur, das heißt auch Gesprächskultur. Wer die geradewegs gespenstische Bürgerversammlung über die Torhäuser zum Brandenburger Tor erlebt hat, auf der hunderte Bürger vehement protestierten, die Baubeigeordnete hinterher anscheinend aber immer noch unbeirrt an diesem absurden Vorhaben festhalten wollte, der mußte sich mehr Leser im Rathaus wünschen. Helmut Krausser, Erich Loest, Juli Zeh. Eine verkehrte Welt scheint es zu sein. Kulturschaffende resignieren regelrecht im Umgang mit „ihrer“ Verwaltung, der aufrechte Bürger muss ständig Obacht geben, zur rechten Zeit mit Bürgerinitiativen Schlimmstes zu verhindern, und bedruckte Regenschirme oder „Weihnachtbäumchen 2010“ sollen das alles wieder richten. Antje Strubel, Julia Schoch, Grit Poppe ...

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