zum Hauptinhalt

Kultur: Mehr Pop in die Bewerbung

TempEau und Jansen im Waschhaus

TempEau und Jansen im Waschhaus Ein Konzert ist viel mehr als Musik, sonst könnte man ja immer nur CDs kaufen. Und Potsdam ist viel mehr als das Marmorpalais, der Theaterneubau und das VW-Designzentrum, jene Vorzeigeorte, die wenige Stunden vor dem Konzert der beiden Gruppen TempEau und Jansen der Auswahl-Jury für die Kulturhauptstadt als besonders „visionär“ präsentiert wurden. Popkonzert und Kulturhauptstadtbewerbung, hat das etwas miteinander zu tun? Für denjenigen, der zuhause lieber CDs hört und den, der alte und neue Paläste und Autokonzerne für die Zentren der Kultur hält, vielleicht nicht. Für alle anderen ist „Kultur“ vor allem etwas Lebendiges und Soziales, ein Gemeinschaftserlebnis, bei dem Neues entdeckt und Bewährtes hinterfragt werden kann – ganz unabhängig von Autoritäten, großen Namen und Idolen. Schaut man nun auf die Potsdamer Kulturhauptstadt-Bewerbung und in das Waschhaus am Freitagabend, dann verwundert es zu sehen, wie sehr anscheinend den Kulturmenschen dieser Stadt das Vertrauen in sie selbst und ihren Geschmack abhanden gekommen ist. Denn der Kulturmensch schmollt. Er bleibt den Veranstaltungen fern, er bewirbt sich nicht richtig für die Kulturhauptstadt, vielleicht fühlt er sich nicht eingebunden, vielleicht allein gelassen. Zumindest im Falle der beiden relativ unbekannten Bands im Waschhaus wurde das Vertrauen der anfänglich rund fünfzig Zuschauer positiv darin bestärkt, demnächst wieder den Machern Glauben zu schenken und auch einmal unbekannten Musikern eine Chance zu geben. Das Trio TempEau wird dann jedoch gewiss schon längst berühmt sein. Jan Plewka und Marek Harloff haben den Unfug der letzten 20 Jahre Pop- und Rockmusik in ihrer Musik herausgestrichen. Gitarre, Schlagzeug und Bass sind genug, wenn man etwas zu sagen hat. Marek Harloffs Stimme ist rau wie Schmirgelpapier, trotzig wie ein Pubertierender und ist am besten, wenn die Verzweiflung am größten ist, immer kurz vor dem Refrain. Fällt einem dazu Rio Reiser ein, der ähnlich klang, spannt sich ein Referenznetz auf aus Protestsongs und Wahrhaftigkeit. Eine Band, die plötzlich in türkisen Damennachthemden und blonden Perücken dastehen kann, ohne dass die Musik einen Deut alberner erscheine, muss gut sein. Sie ist es. „Jansen“ spielten danach magischen Romantik-Pop, der sie mit „Element of Crime“ verbindet. Schlagzeug, Kontrabass und gedämpfte Trompete bzw. Ventilposaune zähmen die rockige Stratocaster-Gitarre von Markus Maria Jansen und wickeln sie ein in eine weiche Klangdecke, wie sie in Salons und Nachtclubs anzutreffen ist. Mit dem Bowler-Hut des Bassisten und Anzügen, die sicher einmal mondäner aussahen, sind „Jansen“ die Band, die schon seit Ewigkeit auf dieser „Jansenbühne“ steht, um einen Lebenssoundtrack zu spielen, der niemals abbrechen wird. Hauptsache, das Bier geht nie zur Neige. Jansen singt, wie er selbst sagt, wunderschön, traurige Lieder mit seiner dunklen-warmen Stimme. Vor zwanzig Jahren begann Jansen als Kopf der Krefelder Band „M. Walking on the Water“, die Ende der Achtziger Jahre zeitweise mehr als nur ein Geheimtipp war. Nunmehr hat seine Band musikalisch und textlich ein Niveau erreicht, das man klassisch nennen kann. Mit dichten Arrangements, rhythmischer Wechselhaftigkeit und kompositorischen Finessen zeigt der Sänger, dass er auch als Theaterkomponist tätig ist. Ein Konzert also, viel mehr als nur Musik. Ein Erlebnis. Denn wo bitte spannen sich die Referenz-Fäden zwischen dem Hier und Jetzt, Protestsongs und Rio Reiser, den alten Lokalgrößen vom Niederrhein – und den Problemen der Kulturhauptstadt Potsdam so dicht zur Forderung, es solle bitte mehr Pop in die Bewerbung einfließen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false