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Kultur: Mit der Kindheit in der Tasche auf und davon

Manfred Krug erweist sich in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen „Mein schönes Leben“ als unterhaltsamer Plauderer

Manfred Krug erweist sich in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen „Mein schönes Leben“ als unterhaltsamer Plauderer Von Heidi Jäger Er ist ein fesselnder Plauderer, dem die Geschichten offenbar nie ausgehen. Dabei muss er sich keine ausdenken, das Leben selbst schrieb sie ihm auf den Leib. Fast 400 Seiten braucht Manfred Krug, um allein seine Kindheit zu fassen. Der Leser hängt ihm dabei an den „Lippen", giert nach immer neuen Episoden. Denn langweilig wird“s bei Krug nie. Spannend wird ein Leben natürlich immer nur dann, wenn es nicht allzu geradlinig verläuft. Bei Manfred Krug türmten sich die Stolpersteine wie von selbst auf. Schon seine Geburt war eine besondere: „Der erste Tag war der 8. Februar 1937, ein Rosenmontag. Meine Mutter lag im Kreißsaal, sie mußte geduldig sein und leiden. Draußen zog der ärmliche Karnevalszug von Duisburg vorbei, Trärä, trärä, - Helau! Und mein Vater schlief am helllichten Tag mit Emmy, der besten Freundin meiner soeben werdenden Mutter. Ich wog zehn Pfund und war eine Steißlage, das heißt, ich kam an einem fröhlichen Tag mit dem Hintern voraus auf die Welt." Das machte den kleinen Manfred aber keineswegs blind für die Ungerechtigkeiten, die er fortan immer wieder zu spüren bekam. Vom Vater wird er geprügelt, die Mutter hat mit sich und dem jüngeren Bruder zu tun, und auch die katholischen Erzieherinnen glauben, dass über blaue Flecke der Charakter am besten zu formen sei. Trost findet der Junge nur bei Robinson, „einem Buch für einsame Kinder. Daniel Defoe, der einzige, der mich neben meiner Oma trösten kann." Erst als der Vater in den Krieg zieht, vergeht Manfreds Bettnässen. Er muss nicht mehr mit Händen an der Hosennaht stramm stehen, die cholerischen, demütigenden Ausbrüche über sich ergehen lassen. Meist auf sich selbst gestellt, lernt der aufgeweckte Bursche, sich mit Bauernschläue durchzuschlagen. Er lügt und klaut, wenn es sein muss, denn ein knurrender Magen ist selten ein guter Freund. Dennoch drückte ihn seine Kindheit keineswegs albtraumartig nieder. „Oftmals denke ich, wie schön, daß es den Krieg gegeben hat. Was hat er uns nicht alles beschert: Wunderbare Ruinen, Bombentrichter, überall Holz zum Budenbauen, verschüttete Keller, Abenteuer." Manfred Krug erzählt sein Vagabundenleben in der zerrütteten Familie - zwischen Vater und Mutter, zwischen Ost und West - nie larmoyant. Er bewahrt beim Erzählen den kindlichen Blick und bestätigt Max Reinhards Erkenntnis: „Schauspieler sind Menschen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben." Mit leisem, nie verletzendem Witz zeichnet Krug ein einfühlsames, buntes Kaleidoskop seiner Mitmenschen, zeigt ihre Ecken und Kanten, belässt ihnen aber auch ihre guten Seiten. Selbst der oft gehasste Vater war nicht nur Tyrann. Er bewahrte seinen Sohn vor der FDJ und sich vor der Partei, und wurde dennoch Chef der Stahlkocher in Brandenburg. Wie nebenbei entsteht durch das muntere Fabulieren ein sehr eindrückliches Bild von der Kriegs- und Nachkriegszeit. Vor allem aber ist das Buch eine geradezu rührende Hommage an die Großmutter mit den krummen Beinen, die den kleinen Manfred immer wieder zu sich nimmt und auch den letzten Brotkrumen mit ihm teilt. Bei ihr lernt er das Hausieren und auch eine bedingungslose Liebe kennen. Neben der Oma steht ihm auch der Bruder nahe, der mit ihm das Leid der Einsamkeit teilt. „Mein Bruder ist ein warmherziger, hübscher Junge. Eigentlich sollte ich stolz auf ihn sein. Die wenigen Fehler die er hat, sind meine eigenen Fehler, nur daß ich sie an ihm besser erkenne. Er ist stolz, faul, abenteuerlustig und schon jetzt hat er den ganzen Tag Mädchen im Kopf. Er will bewundert werden, und verlangt was vom Leben." Auch Manfred Krug verlangt etwas vom Leben, gibt sich nicht mit dem schweren Los als Schmelzer am feuerspuckenden Hochofen zufrieden. Ihn zieht es in die Schauspielerei. „Kunst ist, was die Wenigsten schaffen", sagt er laut in den Spiegel, und vertreibt damit alle Selbstzweifel. Doch dieses Kapitel seines Lebens muss in einem anderen Buch aufgeschlagen werden. Manfred Krug, Mein schönes Leben, 400 Seiten, 24 Euro, Econ Verlag

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