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Potsdam-Mittelmark: Florentiner Minnedienst in Beelitz

Annekathrin Bürger las am Freitag im Tiedemann-Saal aus Boccaccios „Decamerone"

Annekathrin Bürger las am Freitag im Tiedemann-Saal aus Boccaccios „Decamerone" Beelitz. Ein ansehnlicher Pferdeknecht war einst in die Gattin des Königs der Langobarden verliebt. Nun überlegte er, wie er es anstellen könne, unbemerkt seines gestrengen Herrn in ihr Bette zu kommen. Leben oder Tod bedenkend, wagte er den tollkühnen Streich. Nachdem er die Gewohnheit des getrennt ruhenden Paares hinter einem Vorhang ausgekundschaftet und sich entsprechend verkleidet hatte, gelang ihm das Ersehnte. Frei- lich konnte er nicht ahnen, dass es kurz nach ihm auch den König gelüsteten würde, sich seiner Gattin zu erfreuen. Sie wunderte sich sehr, ihn schon wieder bei sich zu wissen, im Dunkeln, und sagte ihm das auch Vier solch elegant-erotischer Geschichten aus dem „Decameron" des großen Novellisten Boccaccio (1313-1375) standen am Freitag auf dem Programm des Beelitzer Tiedemann-Saales. Obwohl sich Annekathrin Bürger zwischen Weihnachten und Neujahr eine Fraktur zugezogen hatte, sagte sie ihren Auftritt als Vorleserin in der Spargelperle nicht ab. Es wäre auch schade gewesen, denn das sichtlich erheiterte Publikum brachte sie nicht nur einmal aus dem Konzept. Also kam sie auf zwei Geh-Hilfen, Latsch und Wollsocke am kranken Fuß, auf die Bühne gehumpelt, heiteren Antlitzes. Mit dem russischen Pianisten Alexander Yakovlev und dem vielseitigen Bläser Christian Georgi hatte sie zwei sehr musikalische „Gehilfen" zur Seite, welche das Auditorium mit moderner und etwas älterer Klassik von Gershwin, Haydn, Mozart, Bach, dazwischen locker unterhielten. Verlockend auch Boccaccios Geschichten, darin ein bärenstarker Jüngling als Gärtner eine ganze Nonnengemeinschaft nebst Äbtissin zufriedenstellt, oder jene, wo zwei Freunde nach einseitigem Ehebruch zu einer verliebten Vierergemeinschaft finden. So blieb Liebe und Freundschaft dem Quartett erhalten, Treue jedoch erspart. Das erstaunte nun schon, wie die galanten Schnurren des liebestollen Florentiners auch nach 700 Jahren wirken. Seine elegante Erotik deutet mit wunderbaren Wendungen oft nur an, was heutige Dienstleister plump und deutlich feilbieten. Und er wusste Bescheid: Der Herr hatte seiner Dame stets gefällig zu sein, wie in der üppigen Geschichte vom Einsiedlermönch, welcher einem unschuldigen Mädchen zuerst weismacht, „rechter Gottesdienst" sei, wenn er seinen Teufel in ihrer Hölle verschwinden ließe, dann aber passen muss, als ihr heftiger Drang zum „Höheren" ihm das Mark aus dem Leibe zu saugen drohte. Man müsse „dabei" eben auch seiner Gesundheit gedenken, riet schon die ge-täuschte Langobardin ihrem König. Doch bei Boccaccio geht alles stets gut aus. Annekathrin Bürger las diese Geschichten mit größtem Vergnügen, mal keck, mal mit verteilten Rollen, flüssig, flockig, schön. Als Vorsitzende des Vereins „Kinder vom Don" hatte sie Alexander Yakovlev in Rostov entdeckt, wo sein Vater ein Krankenhaus leitet. Jetzt studiert er an der UdK Berlin. Bei seinen auffallend leichthändigen Interpretationen von Mozart oder Haydn hatte man das Gefühl, der Flügel spiele auf ihm. Christian Georgi aber führte sein Wunderinstrument vor, den „Blaswandler". Was man hineinbläst, wandelt das Ding digital in Töne für Geige, Orgel, Flöte, Chor, Piano oder Tuba um. Aha-Effekte kann man damit wohl erzielen, doch ein echtes Instrument klingt anders. Schön, dass er dann zur Querflöte griff, um ein Menuetto von Bach zu spielen. Eine leichte und heitere Atmosphäre also im Saale zu Beelitz, mit einem „sehr lustigen Publikum", wie die Bürgerin meinte, und gab, damit sie den Latschen nicht an- und wieder ausziehen musste, ihre Zugabe, leider heutigen Stils, gleich nach dem Schlussapplaus dazu. Blumen, Dank von oben und unten, denn der Pferdeknecht kam dank einer weisen Entscheidung noch einmal davon. Hals und Beinbruch denn auch für die kommende Zeit. g.p.

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