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Wirtschaft: Abgehoben, abgestürzt

Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen Peters Hartz / Die VW-Sexaffäre und Hartz IV kleben an dem Arbeitsmarktreformer

Berlin - Er wollte immer ganz nach oben. Am 16. August 2002 war er angekommen. Gemeinsam mit seinem Duzfreund Gerhard Schröder stellte Peter Hartz in Berlin das Gutachten zur Reform des Arbeitsmarktes vor. Auf Augenhöhe mit dem Kanzler, der die Vorschläge der Hartz-Kommission kurz vor der Bundestagswahl mit viel Brimborium inszenierte. Hartz selbst, der wie Schröder auf dem zweiten Bildungsweg die Grundlage der Karriere legte, war maßlos begeistert über seine Arbeit. „Wir haben eine Bibel für den Arbeitsmarkt geschrieben.“ Wenige Jahre später wurde der Begriff Hartz IV zum Unwort des Jahres gewählt und der Namensgeber schämte sich für das, was die Politik aus seinen Vorschlägen gemacht hatte.

Doch ganz unten kommt Peter Hartz erst jetzt an, am 17. Januar 2007 im Landgericht Braunschweig. Dort wird ihm am Mittwoch der Prozess gemacht wegen Untreue und Begünstigung des Betriebsrats. Schlimmstenfalls muss er für fünf Jahre ins Gefängnis. „Unser bester Mann“, wie der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch in den 90er Jahren seinen Personalvorstand Hartz nannte, ist zu einer unvergleichlich tragischen Figur geworden.

Der Sohn eines Hüttenarbeiters aus dem saarländischen St. Ingbert lernte Industriekaufmann und machte auf der Abendschule das Abitur. Anschließend studierte er Betriebswirtschaft und arbeitete für eine französische Firma, bevor er rund zwei Jahrzehnte als Personalmanager in der saarländischen Stahlindustrie tätig war. In den 70er und 80er Jahren die Krisenbranche schlechthin. Hartz’ Ansatz in jenen Jahren: „Den Leuten die Angst nehmen vor den notwendigen Veränderungen“, wie ein Weggefährte heute im Rückblick sagt. Nach diesem Muster ging er später auch vor: Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit schützen, ihnen also so viel Sicherheit geben, dass sie bereit sind, neue Wege mitzugehen. Die Alternative Massenentlassungen hat Hartz immer als fantasielos abgelehnt.

Eben auch bei VW. In der Autokrise 1993 hatte Volkswagen rund 30 000 Mitarbeiter zu viel in den deutschen Fabriken. Der damalige Chef der niedersächsischen IG Metall, Jürgen Peters, schlug dem neuen VW-Personalvorstand und IG Metall-Mitglied Hartz eine massive Arbeitszeitverkürzung vor, um die Stellen zu retten und Sozialplankosten von zwei Milliarden Mark zu vermeiden. Hartz konnte seinen Chef Piëch überzeugen, die Vier-Tage-Woche wurde eingeführt, Entlassungen ausgeschlossen. Allerdings versäumte VW in den folgenden Jahren überzählige Stellen zu streichen – und musste dafür dann im vergangenen Jahr viel Geld in die Hand nehmen. Ferner, so die Sanierungsvereinbarung vom Herbst 2006, wird die Arbeitszeit nun unbezahlt verlängert, damit die westdeutschen Werke überhaupt wettbewerbsfähig sind.

Auch deshalb werfen Kritiker Hartz vor, zwar Schmerzen gelindert, aber nicht den Krebs besiegt zu haben. Überhaupt sei der „katholische Paternalist“, wie ein früherer VW-Manager sagt, „ein Typ wie Max Grundig, also ideal für einen Familienbetrieb“. Im Umkehrschluss heißt das: Mit dem angelsächsisch geprägten Turbokapitalismus der Globalisierung ist Onkel Peter niemals klargekommen. „Er hat vielmehr geglaubt, die Geißel Arbeitslosigkeit vom Land nehmen zu können“, sagt der Ex-Kollege über den Ex-Personalchef und Ex-Kommissionsleiter, dem er Anständigkeit und Naivität attestiert. „Hartz ist subjektiv lauter und objektiv ein politischer Idiot.“ Ein Paternalist eben, „der gute Vater, der für seine Kinder alles regelt, auch mal über die Stränge schlägt und mit den Söhnen in den Puff geht“, wie der Ex-Kollege meint.

Die Söhne, das sind in diesem Fall einige VW-Betriebsräte. Doch wegen Dienstleistungen von Prostituierten steht Hartz nicht vor Gericht; er hat im übrigen stets beteuert, solche Leistungen selbst bezahlt zu haben. Was Hartz vorgeworfen wird – und was er zugibt – , ist der Tatbestand der Untreue. Konkret geht es um rund zwei Millionen Euro, die auf Hartz’ Veranlassung zwischen 1995 und 2004 als Sonderbonus an den damaligen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert gezahlt wurden, sowie weitere 500 000 Euro unter anderem für Filmarbeiten, die die Geliebte Volkerts von Volkswagen bekam. Volkert, damals mit einem Jahresgehalt von mehreren hunderttausend Mark nicht schlecht bezahlt, soll Hartz um mehr Geld gebeten haben, nachdem er erfahren hatte, welche Summen die 1994 mit dem Kostenkiller José López nach Wolfsburg gekommenen Jungmanager verdienten. Hartz wies die zusätzlichen Zahlungen an Volkert an, und muss sich dafür nun vor Gericht verantworten.

Ist das Bestechung eines Betriebsrats? Dieser Vorwurf, so meint der frühere VW-Manager, sei aus Hartz’ Sicht völlig unverständlich. Für den seien vielmehr Kapital und Arbeit gleichberechtigt und gleichwertig, deshalb müssten also Manager und Arbeitnehmervertreter gleich bezahlt werden. Nach dieser Logik gab es also Millionen für Volkert und Luxusreisen und Sexdienste auf VW-Kosten auch für andere Betriebsräte. Alles völlig normal. Hartz war abgehoben und realisierte nicht die Gefahren im Rotlichtmilieu. Als zwei seiner wichtigsten Mitarbeiter und Mitwisser gefeuert wurden und deshalb auspackten, war auch er selbst im Juli 2005 nicht mehr zu halten. „Doch es ist ein Unterschied, ob jemand entlassen oder in seiner bürgerlichen Existenz vernichtet wird“, äußert ein früherer VW-Manager Mitleid. „Jetzt weiß er, dass er großen Scheiß gemacht hat.“

In sein Haus in einem Dorf bei Saarbrücken hat sich Hartz zurückgezogen. Der Journalistin Inge Kloepfer stand er viele Stunden Rede und Antwort, im März bringt Kloepfer ein Interviewbuch mit dem Titel „Macht und Ohnmacht“ heraus. Bemerkenswert findet die Journalisten, wie „souverän Hartz über seine Niederlagen spricht“. Er hat sich offenbar erholt. Denn ein alter Kumpel weiß zu berichten, dass ihn die Affäre „schwer niedergeschlagen hat“. Zum einen die Berichterstattung, zum anderen der Vorwurf, er sei ein Schnorrer, habe sich buchstäblich auf Kosten des Unternehmens Lust verschafft. Ausgerechnet er, der sich bei aller Eitelkeit „eine bestimmte Bescheidenheit“ erhielt. Trotz Luxus und dem Millionengehalt habe er nie vergessen, „wie andere leben“, und doch auch „die Attitüde der Macht genossen“. Die Freundschaft zum Kanzler etwa, der zum 60. Geburtstag persönlich anreiste, und von dem Hartz, seitdem ihn die Affäre von der Bühne schleuderte, nichts mehr gehört hat.

Seinen Prozess wird Hartz voraussichtlich überstehen. Er ist geständig, hat sich nicht persönlich bereichert und seine Verdienste für Volkswagen sind unbestritten. Das alles sind Argumente für ein mildes Urteil auf Bewährung. Doch von seiner doppelten Lebenstragik kann ihn keine Instanz freisprechen: Prostituierte und Hartz IV kleben an dem Mann, der seine Mission in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sah. „Ein McKinsey-Sozialist“, nennt ein VWler Peter Hartz, der sich selbst als „Überzeugungstäter“ bezeichnet. Erst unten, dann oben, dann wieder unten.

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