zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Ausgliedern, verlagern, abspalten

Von der Putzkolonne bis zum Softwaretechniker – es gibt kaum etwas, was spezialisierte Firmen nicht besser und billiger erledigen können

Von D. Fockenbrock,

M. Shahd und T. Symanski

Unternehmensberatern fällt immer etwas ein. Wenn sie Kunden überzeugen wollen, dass ihre Unternehmen zu unbeweglich sind, zu teuer produzieren und deshalb in einigen Jahren von der Bildfläche verschwinden – dann lassen die Berater das Stichwort „Nike“ fallen. Der US-amerikanische Sportartikelanbieter gilt als Musterknabe des schlanken Unternehmens. Nike steht für kostengünstig, effektiv, wettbewerbsfähig, weil Nike nichts anderes ist als eine Marketingfirma. Nichts, was an ein klassisches Industrieunternehmen erinnert: keine Produktion, keine Logistik, kein Vertrieb. All das ist an Zulieferer vergeben oder ins Ausland verlagert. In der Beratersprache heißt das dann Outsourcing und Offshoring. Nike ist eine reine Denkfabrik für Sportartikel mit angeschlossener Werbeabteilung.

Kosten werden vor allem deshalb gespart, weil Nike immer in solchen Ländern fertigen lässt, in denen es aktuell am billigsten ist. Das versuchen alle Industriefirmen weltweit nachzumachen – wenn auch nicht so konsequent. Bis zu 30 Prozent der eigenen Kosten, schätzen Berater, sind als Ersparnis beim Ausgliedern drin. Nach einer Studie der Deutschen Bundesbank hatten deutsche Unternehmen bis zur Jahrhundertwende bereits 2,4 Millionen Arbeitsplätze im Ausland geschaffen und die Fertigung im Inland entsprechend eingestellt.

Eine Umfrage des „Tagesspiegel am Sonntag“ unter den 30 großen Firmen des Deutschen Aktienindex (Dax) ergab, dass der Trend zur Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Kostengründen unvermindert anhält. Ein Drittel der Konzerne gab an, im vergangenen Jahr einzelne Unternehmensbereiche oder Abteilungen an externe Dienstleister ausgelagert zu haben. Dabei ging es meist um die klassischen Bereiche wie EDV, Transport oder Gebäudemanagement. Mit Aussagen zu den Planungen für 2004 halten sich die Konzerne dagegen zurück, da beim Thema Outsourcing Mitarbeiter um ihre Jobs fürchten und Betriebsräte und Gewerkschaften auf den Plan gerufen werden.

Ulrich Schumacher, Chef des Chipherstellers Infineon, will zumindest beim Outsourcing Musterknabe werden. In seinem Unternehmen sind keine Abteilung, keine Sparte, kein einziger Standort heilig. Die Buchhaltung wird inzwischen in Portugal erledigt, Teile der Personalverwaltung hat das Beratungsunternehmen EDS übernommen. Und Schumacher sucht nach weiteren Projekten.

Die ehemalige Infineon-Mutter Siemens, eine Deutsche Bank oder ein mittelständisches Industrieunternehmen sind noch lange nicht so weit. Bevor solche Unternehmen auch nur annähernd so schlank wie Nike sind, müssten sie sich radikal umbauen. Outsourcing und Offshoring als Mittel zur Einsparung von Kosten sind nicht neu, gewinnen aber mit der zunehmenden Öffnung von Grenzen an Bedeutung. Deutschland ist vor allem durch die EU-Erweiterung betroffen. Denn Polen oder Lettland locken noch auf Jahre mit niedrigen Löhnen, die selbst bei hoher Produktivität in Deutschland nur schwer zu schlagen sind. Ein Industriearbeiter in Polen kostet nur ein Viertel seines Kollegen in Deutschland. Und Deutschlands Nachbarländer im Osten haben den Vorteil, dass sie auch für kleine und mittelständische Betriebe als Standort interessant sind. Billige Produktionsstandorte in Asien dagegen sind zumeist nur für die großen Konzerne erreichbar.

Ein Klassiker des Outsourcing ist der Transport. Eine eigene Lkw-Flotte leistet sich heute kein Industrieunternehmen mehr. Das übernehmen Speditionen. Die fahren inzwischen nicht nur die Produkte durch die Gegend. Sie lagern, verwalten und verteilen sie auch. Selbst die 11 000 Firmenwagen von Siemens gehören nicht mehr dem Münchener Konzern. Die sind bei der Daimler-Chrysler-Tochter Debis geleast.

Große Erfahrungen hat die Automobilindustrie. Bis zu 70 Prozent des Produktionswertes eines Autos werden teilweise schon von Zulieferern erbracht. In einigen Werken von Volkswagen und Co. schrauben fast nur noch die Zulieferer das Auto zusammen.

Nach einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft machen die meisten Unternehmen aber immer noch vieles selbst: Die Fertigungstiefe, also der Anteil der Eigenleistung am Endprodukt, lag bei 1600 untersuchten Firmen durchschnittlich bei 75 Prozent, Spitzenreiter ist die Chemie mit 85 Prozent. Berater sehen darin ein Riesenpotenzial. Andere Experten warnen. „Outsourcing befindet sich zwar auf dem Vormarsch, ist aber kein Allheilmittel für alle Branchen“, heißt es in der Fraunhofer-Studie. Höhere Koordinierungskosten machten oftmals die Ersparnisse durch Auslagerung zunichte. Das Kostensparen durch Outsourcing wird deshalb heute auch kritisch gesehen. Auch Wolfgang Thiel, Geschäftsführer bei Boston Consulting, bremst übertriebene Erwartungen: „Nicht alle Dienstleistungen lassen sich über den Ozean schippern.“ (Foto: Udo Bernhart)

D. Fockenbrock[M. Shahd], T. Symanski

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false