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Wirtschaft: Bringen Sie zum Abendessen bitte eine Stoppuhr mit

Zeit ist Geld hier im Totenko China Restaurant.Das erklärt, warum Hiroyuki Shiga seine Uhr so auf den Tisch legt, daß er sie beim Essen sehen kann.

Zeit ist Geld hier im Totenko China Restaurant.Das erklärt, warum Hiroyuki Shiga seine Uhr so auf den Tisch legt, daß er sie beim Essen sehen kann.Auf dem Büfettisch stapeln sich köstliche Meeresfrüchte und dampfende gebratene Gerichte, aber Herr Shiga ist nicht hier, um zu verweilen.Er und zwei Freunde bedienen die Stechuhr, rennen zum Essen, eilen zu ihrem Tisch und schlingen Frühlingsrollen, gebratene Nudeln, gebratenen Reis, Tofu und Garnelen in Chilisauce hinunter.Dann betätigen sie wieder die Stechuhr und sind aus der Tür.Die verstrichene Zeit: 19 Minuten.Herr Shiga, ein 29jähriger Tokioter Student, ist gerade Japans neustem Trend zur Bewältigung der Rezession gefolgt: "all-you-can-eat by the minute".Hier kostete es 35 Yen in der Minute, ungefähr 30 amerikanische Cents.Der schnellste Esser hat die niedrigste Rechnung.Herr Shiga bezahlte 5,73 Dollar statt des regulären Preises von 15,95 Dollar.In dem Land der kunstvollen Küche und gewissenhaften Umgangsformen ist das Essen keine delikate Angelegenheit."Ich habe alles gegessen, was sie hatten", sagt Herr Shiga, der Jeans und gestrickte Baskenmütze trägt.Zufrieden an seiner Zigarette ziehend, enthüllt er seine Strategie: sich von allem eine große Portion nehmen, so daß man keine Zeit mit einem zweiten Gang zum Büfett vergeudet.

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, auch wenn das bedeutet, daß dabei die Tischmanieren über Bord geworfen werden.Da Japans Restaurantgewerbe, das 160 Mrd.Dollar im Jahr umsetzt, um das Überleben in der Rezession kämpft, bietet es kostenbewußten Gästen verstärkt "all-you-can-eat-Restaurants" an.Einige Restaurants haben sich entschieden, aufs Ganze zu gehen, und so entstand das "buffet-by-the-minute".Das Bedienen der Gäste "pro Minute" kann kompliziert sein.Nur die ersten 30 Mittagsgäste können im Totenko von dieser Zahlungsmethode profitieren und so bildet sich in der Lobby eine lange Schlange Hoffnungsvoller, bevor das Restaurant um 11.30 Uhr öffnet.Um ein Feilschen an der Kasse zu vermeiden, verlangt "Minutes Viking" von den Gästen, eine Stechuhr zu betätigen - ähnlich wie Fabrikarbeiter es tun.Dann werden sie auf das Büfett losgelassen, wo sie unter 30 Speisen auswählen und sich um beliebte Gerichte wie Garnelen in Chilisauce drängeln können.Für eine schnelle Kaffeepause bietet das vornehme Dai-tchi Hotel Tokyo Seafort Kuchen und Sandwiches für 26 US-Cents in der Minute an.Das Hotel Nikko Osaka probierte das Konzept neulich mit Alkohol aus: es berechnete für Bier, Wein oder Sake 26 Cents am Tisch und 17 Cents an der Bar."Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und dem in Mitleidenschaft gezogenen Restaurantgewerbe", erklärt Munenori Hotta, ein Forscher am Tokioter "Food Service Industry Research Center", einem Forschungszentrum für Dienstleistungen im Restaurantgewerbe, "muß man den Konsumenten ein großes Stück entgegenkommen."

Dem japanischen Restaurantführer Pia Rankin Gourmet zufolge existieren inzwischen allein in der Gegend von Tokio mindestens 176 "all-you-can-eat-Restaurants", in denen die Gäste alles von gekochten Krabben und Lachseintopf bis zu Käsekuchen verschlingen können.Sogar Restaurants der gehobenen Klasse sind jetzt damit beschäftigt, Gäste vollzustopfen.Tokoyu Co., die in Tokio mehrere Restaurants betreibt, serviert nicht länger ihr etwa 80 Dollar teures Kaiseki-Dinner, ein mehrgängiges Menu japanischer Delikatessen, die traditionell in kleinen Portionen gereicht werden; vielmehr gibt es jetzt bei dem sogenannten Kaiseki-Mittagessen unbegrenzten Nachschlag für nur 37 Dollar.Angesichts dieses harten Wettbewerbs geben einige der "all-you-can-eat-Restaurants" schon wieder auf."Diejenigen, die übrig geblieben sind", sagt Herr Hotta, "müssen sich klar voneinander abheben."

An dieser Stelle kommt nun die Stechuhr ins Spiel.Totenko, das in Japan 43 Restaurants betreibt, begann mit dem "buffet-by-the-minute-service" im Juli in seinem Hauptrestaurant in Tokio.Da die Einnahmen aus dem regulären Mittagsbüfett durch die Rezession verringert wurden, kam man auf die Idee, schnelle Esser zu belohnen, um so insbesondere die unter Zeitdruck stehenden Büroangestellten anzuziehen."Am Anfang war es nur ein Spiel", sagt Fumio Komatsuzaki, der Restaurantmanager.Er sagt, die Idee mit dem "by-the-minute-buffet", das "Minutes Viking" genannt wird, sei ihm gekommen, als ein Mitarbeiter einen Fischteich in der Nähe erwähnte, an dem das Angeln nach Minuten abgerechnet werde.(Die Japaner nennen das Büfett "Vikings" - Wikinger, nach der Art und Weise, wie die Wikinger angeblich gegessen haben.)

Die Gäste bemerken rasch jede Verzögerung im Service, die ihre Rechnung erhöhen könnte."Sie sind zu langsam im Auffüllen des Essens", beschwert sich Masako Kobayashi, die ihr 32-Minuten-Mahl gemeinsam mit ihrer 28-jährigen Tochter Aya einnahm.Der zweite Schub von gebratenem Reis sei zu langsam gekommen, behauptet sie, so daß es bei ihrem zweiten Gang zum Büfett nicht genug Auswahl gegeben habe.Während des Desserts blickt sie ständig auf die Uhr."Es ist nicht gut, sich beim Essen zu beeilen", meint Frau Kobayashi dennoch schuldbewußt.

Schnelle Esser haben ihre Tricks."Man kann schneller essen, wenn man alleine kommt", rät Iwao Nibuya, ein Verkaufsleiter von Totenko.Das Restaurant verdient nichts, wenn die Gäste so schnell essen, sagt Herr Komatsuzaki, der Manager.Dennoch, sagt er, hebe das "Minutes Viking system" die Einkünfte des Restaurants, weil es auch mehr Kunden anzieht, die reguläre Preise bezahlen."Es ist eine gute Werbung für uns", behauptet er.Andere "by-the-minute-Restaurants" sagen, sie haben Wege gefunden, die Gäste zum Verweilen zu bringen.Letzten Sommer servierte das Hotel Nikka Osaka in seiner Lounge alkoholische Getränke "by the minute" (und getrennt davon Appetitanreger wie Sushi und Würstchen, um eine Massentrunkenheit zu verhindern).Als die Gäste anfingen, zu essen und zu trinken, "vertieften sie sich in ihre Konversation", berichtet eine Hotelsprecherin.Schuldbewußt sendete das Hotel Kellner mit Schildern "Bitte beachten sie ihre Zeit" um die Tische.Aber viele Gäste amüsierten sich und blieben länger als eine Stunde, sagt die Hotelsprecherin.Das zahlte sich für das Haus aus.Im nächsten Jahr fügt sie hinzu, plane man eine ähnliche Veranstaltung.

"Unser Ziel war es, in 30 Minuten fertig zu sein", sagt Kasumi Kushibe und rechnet aus, daß eine halbe Stunde akzeptable 7,80 Dollar zuzüglich Steuer gekostet hätte.Aber die 29-jährige verbrachte zu viel Zeit damit, mit ihrem Mann Yoichi zu plaudern, was sie weitere acht Minuten - und 2,07 Dollar - am Tisch kostete."Das nächste Mal", sagt Frau Kushibe, "komme ich besser, wenn ich wirklich hungrig bin."

Übersetzt, gekürzt und redigiert von Michelle Schmitz (Editorial) Karen Wientgen (Parfums) und Svenja Rothley (Schnellrestaurants).

YUMIKO ONO

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