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Ein Bauarbeiter steht mit einem Gasbrenner beim Bau eines Mehrfamilienhauses im Neubaugebiet Kronsrode, als am Horizont die Sonne aufgeht.

© dpa/Julian Stratenschulte

Ich arbeite, also bin ich?: Arbeit kann so viel mehr sein als nur Geldverdienen

Arbeit hat eine mächtige, soziale Funktion. Was Arbeit für uns als einzelne sowie als Gesellschaft insgesamt bedeutet – und wo sich auch Generation Z und Boomer einigen können.

Ein Kommentar von Ruth Ciesinger

Der US-Ökonom Jeremy Rifkin hat schon in den 90er Jahren „das Ende der Arbeit“ vorhergesagt, und zum Glück hat er immer noch nicht Recht bekommen. Denn Arbeit, auch und gerade die schnöde Erwerbsarbeit, kann so viel mehr sein als nur Geldverdienen.

Spätestens in der Corona-Pandemie haben es ganz viele von uns gemerkt: Arbeit hat eine mächtige, soziale Funktion. Vielleicht ist die ein oder der andere nicht mehr aus dem Homeoffice zurückgekehrt. Die meisten aber kommen alle paar Tage ins Büro. Weil der schnelle Austausch auf dem Flur, das Gespräch über den Tisch, oder ein gemeinsames Essen nicht nur Absprachen erleichtern, sondern auch den sozialen Akku aufladen können.

Die meisten Menschen definieren sich über ihre Arbeit. Das mag mancher als ungesund empfinden, Fakt ist: Unser Job ist identitätsstiftend, für uns selbst genauso wie als gesellschaftliche Gruppe. Auf die Frage: „Was machst Du?“, sagen wir ganz selbstverständlich, „Ich bin Entwicklerin, ich bin Landwirt.“ Und sind in vielen Fällen stolz darauf.

Übrigens kein neoliberaler Trend, sondern eine Haltung, die schon in der protestantischen wie der katholischen Sozialethik eine wichtige Rolle spielt: Wenn die Arbeit das Mittel ist, in der sich die Identität einer jeden und eines jeden ausprägt, und der Mensch in der Arbeit quasi zu sich findet.

Die Arbeitsbereitschaft steigt mit der Sinnhaftigkeit

Arbeit ist Selbstbestätigung. Zugegeben, die Arbeitsbedingungen sind heute in vielen Fällen auch deutlich besser als die von hunderttausenden Fabrikarbeitern, die am 1. Mai 1886 in den USA für einen Acht-Stunden-Tag auf die Straße gingen, und deren Streik den heutigen Feiertag begründet hat. Aber stolz auf ihre Arbeit und ihre Leistung waren diese Arbeiter ganz sicher auch.

Heute vermissen viele Boomer bei der Generation Z Arbeitsmoral und -einsatz. Weil für sie Arbeit eben nicht nur den Weg zu sich selbst, sondern auch weniger Zeit für Hobbys oder Freunde bedeutet. Das dürften aber Fragen der Arbeitsorganisation, der Betriebsstrukturen und auch der Mitbestimmung sein, die ausgehandelt werden können. Sicher ist: Wird die Arbeit als sinnstiftend empfunden, sind alle bereit, mehr zu tun.

Ich arbeite, also bin ich? Damit Arbeit sinnstiftend wirken kann, braucht es natürlich auch Sicherheit, Verlässlichkeit – und, ja, auch Geld. Wer zum Beispiel im Mindestlohnsektor festhängt und ohne zusätzliches Bürgergeld nicht über die Runden kommt, oder sich trotz 40-Stunden-Woche keine Wohnung mieten kann, fühlt sich weder sicher noch die eigene Leistung wertgeschätzt.

Schon heute brauchen wir wirklich alle, die arbeiten können. Vielleicht ist ja die ökologische Transformation der Wirtschaft in den kommenden Jahren dabei nicht nur eine weitere Herausforderung, sondern eine Chance: Viele neue Jobs werden entstehen, für die es motivierte, gut aus- und weitergebildete Menschen braucht.

Wenn die Arbeit dann sinnvoll ist und Sicherheit gibt, werden sie auch viele machen wollen.  

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