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Kühe werden wegen des von ihnen erzeugten Methans von Klimaschützern kritisch gesehen, könnten aber als Weidetiere dem Artenschutz dienen.

© picture alliance/dpa / Boris Roessler

Ausgang für die Großvieheinheit: Kühe weiden für den Artenschutz

Milchvieh in Stallhaltung sichert die Milchproduktion und das Einkommen von Landwirten. Doch die gängige Praxis schade der Natur. Ein Verein stellt sich quer.

Von Johannes Landmann

Eine satte, grüne Weide, meist Sonnenschein und glückliche Kühe gehören zu vielen Werbebildern für Milchprodukte. Doch man ahnt, das Idyll trügt oder zeigt einen Zustand aus vergangenen Zeiten. Die meisten Milchkühe verbringen ihr Leben im Stall. Nur jede dritte kommt gelegentlich aufs Weideland.

Für Alois Kapfer ist das kein haltbarer Zustand. Der Agraringenieur und Vorsitzende des Vereins „Naturnahe Weidelandschaften“ kämpft vom baden-württembergischen Tuttlingen aus dafür, dass mehr Kühe auf mehr Weiden kommen. Denn die Stallhaltung hat Nachteile – nicht nur für die Kühe.

„Es wirkt sich auch schädlich auf die Wiesenlandschaft aus“, sagt Kapfer. Grasende Kühe seien jeder Mähmaschine überlegen. Während ein Mähbalken jeden Halm und jedes Pflänzchen kappt, frisst eine Kuh nur, was ihr schmeckt. So bleiben immer auch Blüten zurück – Nahrung für Insekten, die vielerorts selten geworden sind.

Andererseits halten die Weidetiere viel Wiesenfläche kurz. Und auch davon profitiert die Pflanzenwelt, wie Kapfer betont. „Auf den roten Listen der bedrohten Arten stehen die Kräuter, die auf gute Belichtung angewiesen sind, ganz oben.“ Weidetiere verhindern fortwährende Dunkelheit in Bodennähe. Da können Arten wie Schlangenwurz, Teufelskralle, Rapunzel oder der Große Wiesenknopf gut gedeihen.

Der Kiebitz wurde 1996 vom NABU als Stellvertreter vieler weiterer Arten, die auf extensive Grünlandbewirtschaftung angewiesen sind, zum Vogel des Jahres ernannt.

© NABU/Dominic Cimiotti

Darunter sind Arten, die in vielen Gebieten jahrzehntelang verschwunden waren, die sich aber wieder ansiedeln können. Außerdem bleibt Platz für die Bodenbrüter wie Kiebitz, Bekassine, Rotschenkel und zahllose andere Arten, die auf einer gemähten Wiese keine Chancen hätten.

Weil Kühe nicht nur fressen, sondern auch regelmäßig Kuhfladen produzieren, liefern sie Nahrung für zahllose Insekten. Denn anders als im Stall werden die Hinterlassenschaften nicht weggespült und in Gülle verwandelt. Vielmehr bleiben sie liegen und werden auch eine Futterquelle für Wirbeltiere, vor allem für Vögel. Eine Überschlagsrechnung zeigt: Eine Kuh produziert pro Monat durchschnittlich eine Tonne Dung, in dem sich etwa 100 Kilogramm Insekten entwickeln. Aus ihnen können zehn Kilogramm Wirbeltierbiomasse entstehen.

Naturgerechte Viehweiden können also zum Erhalt von Biodiversität beitragen. „Bei der extensiven Beweidung handelt es sich um eine Schlüsselstrategie im Kampf gegen das Artensterben“, sagt Kapfer. Aber in der Praxis spielt diese Art der Rindviehhaltung so gut wie keine Rolle.

Der Landschaftsökologe beklagt: „Es geht nicht vorwärts. Seit 30 Jahren dümpeln wir in Deutschland fast ausschließlich mit Pilotprojekten dahin.“ Das liege vor allem daran, dass für Landwirte nicht ökologische, sondern wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen. Daher habe die naturnahe Weidewirtschaft schon wegen des Flächenbedarfs heute keine Chance mehr.

Die Stallhaltung ist kostengünstig und sorgt damit auch für niedrige Preise von Milchprodukten.

© picture alliance/ dpa/Arno Burgi

Moderne Hochleistungskühe der zunächst in den USA gezüchteten Rasse Holstein-Frisian geben in der Stallhaltung täglich rund 25 Liter Milch. Sie sind dafür zwar auf die Zugabe von Kraftfutter angewiesen. Dagegen braucht eine Kuh, die sich ausschließlich auf einer ungedüngten Weide ernährt, aber sehr viel Platz.

Um ihn zu berechnen, haben die Agrar-Fachleute den Standard „Großvieheinheit“ (GV) geschaffen. Er entspricht einem Lebendgewicht von 500 Kilogramm. So lassen sich Tiere mit unterschiedlichem Gewicht und deshalb auch unterschiedlichem Futterbedarf – also vom Kalb bis zum ausgewachsenen Tier – in die Berechnung mit einbeziehen.

„Es hängt natürlich auch von der Bodenbeschaffenheit der Weide ab, wie viele Kühe sie verträgt.“ sagt Kapfer. Man könne aber pro Hektar Weidefläche und Jahr von 0,3 bis einer GV ausgehen. Mit anderen Worten: Rund um die frei grasenden Tiere ist viel Weide nötig.

Auch wenn ein Bauer Kosten für Dünger, Arbeitsaufwand und Pestizide spart, stehen unterm Strich doch meist rote Zahlen. „Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, Landwirte von dieser Art der Nutzviehhaltung überzeugen zu wollen“, räumt Kapfer ein. Wenn im Interesse der Artenvielfalt etwas erreicht werden soll, müsse über Förderrichtlinien nachgedacht werden.

Bisher setzen diese Regeln auf intensive Landwirtschaft mit steigenden Erträgen. „Sie führen letzten Endes zur Verödung unserer Natur“, sagt Kapfer. Sein Verein kämpfe dafür, dass stattdessen Ökodienstleistungen gefördert werden. Das Werbeidyll könnte Wirklichkeit werden. „Wenn die Landwirte mit naturnaher Weidewirtschaft Geld verdienen können, dann machen sie die auch.“

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