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Viele Russen sind nach ihrer kriegsbedingten Flucht im Ausland nicht glücklich geworden.

© AFP/Alexander Nemenov

Ukraine-Invasion, Tag 799: Warum so viele Russen nach ihrer Flucht zurückkehren

Ukraine fürchtet russischen Front-Durchbruch, Macron bringt erneut westliche Bodentruppen ins Gespräch, USA werfen Russland Chemiewaffen-Einsatz vor. Der Überblick am Abend.

Rund eine Million Russen flohen zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, weil sie ihre wirtschaftliche Situation in Gefahr sahen oder auch Angst hatten, in einer der gefürchteten Mobilisierungsrunden in die Armee eingezogen zu werden. Tausende kehren jetzt zurück – ein Propaganda-Erfolg für Präsident Wladimir Putin und Booster für die Kriegswirtschaft. Doch warum?

Die Angst, eingezogen zu werden, wird ihnen nicht vergangen sein. Noch immer gibt es die ständige Möglichkeit, dass der Kreml mehr Soldaten an die Front schickt. Ähnlich wie bei ihrer Flucht aus Russland stecken auch bei ihrer Rückkehr wirtschaftliche Beweggründe dahinter, berichtet das US-Nachrichtenportal „Bloomberg“.

Exil-Russen haben demnach Schwierigkeiten, Geld zu transferieren und ihre Aufenthaltstitel zu verlängern – und die Anzahl der Länder, die sie willkommen heißen, sinkt stetig.

„Niemand hat hier wirklich auf uns gewartet“, sagt der 50-jährige Alexey, der nach Georgien flüchtete, nachdem er bei einer Anti-Kriegsdemo in der russischen Hauptstadt Moskau kurzzeitig festgenommen worden war. Er kehrte dem Bericht zufolge nach Russland zurück, weil die Finanzierung seines Unternehmens ausgelaufen war.

Der Kreml behauptet, dass die Hälfte der Russen, die zu Beginn des Kriegs geflohen waren, mittlerweile wieder zurückgekehrt sind. Das deckt sich laut „Bloomberg“ unter anderem mit Ausreisedaten aus den vormaligen Zufluchtsländern.

Einige finden nun bessere Arbeitsbedingungen vor als vor ihrer Flucht. Der IT-Programmierer Evgeniy beispielsweise kehrte mit seiner Familie aus Kasachstan zurück, weil er ein Angebot bekam, dessen Konditionen er sich nach eigener Aussage vor dem Krieg nur hätte erträumen können.

Die großzügigen Angebote nützen beiden Seiten: Bis zu einem Drittel sollen die Rückkehrer 2023 zum russischen Wirtschaftswachstum beigetragen haben.

Allerdings hat die Rückkehr auch Schattenseiten. IT-Spezialist Alexander, der aus Aserbaidschan zurückkehrte, arbeitet nun bei einer großen russischen Bank. Die meisten seiner Kollegen, die nicht geflohen waren, unterstützen nach seiner Aussage Putins Krieg und glauben der Propaganda.

Alexander erklärt, er diskutiere nicht mit ihnen darüber, weil es für ihn nicht sicher sei, seine Kollegen überzeugen zu wollen – immerhin können Kriegsgegnern Strafen drohen. Er sagt: „Ich warte einfach darauf, dass dieser Albtraum aufhört.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick

  • Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine als ein Mittel der Abschreckung bekräftigt – und damit die Debatte um das Thema erneut angefacht. „Falls die Russen die Frontlinien durchbrechen und falls die Ukraine darum bittet – was bislang nicht der Fall ist – dann müssten wir uns zu Recht diese Frage stellen“, sagte Macron der britischen Zeitschrift „The Economist“. Mehr dazu im Newsblog.
  • Das ukrainische Militär hat den russischen Durchbruch bei dem Ort Otscheretyne im ostukrainischen Gebiet Donezk nach mehreren Tagen bestätigt. Der entsprechende Ortsteil werde aber von der ukrainischen Artillerie beschossen. „Mit diesem Ziel wurden zusätzliche Kräfte und Mittel aus der Reserve herangeführt“, erklärte Sprecher der an dem Abschnitt kämpfenden Armeegruppe „Chortyzja“, Nasar Woloschyn, am Donnerstag.
  • Russland verstößt nach Angaben der US-Regierung gegen die Chemiewaffenkonvention der Vereinten Nationen. Im Angriffskrieg gegen die Ukraine habe das russische Militär verschiedene Reizgase „als eine Form der Kriegsführung“ eingesetzt, teilte das US-Außenministerium mit. Mehr dazu hier.
  • Die Schweiz hat am Donnerstag mehr als 160 Delegationen offiziell zur geplanten Ukraine-Konferenz eingeladen. Sie findet am 15. und 16. Juni in einem Nobelhotel am Vierwaldstättersee statt und wurde auf Bitten der Ukraine organisiert. Ziel sei, ein gemeinsames Verständnis für einen möglichen Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu entwickeln. Mehr dazu hier.
  • Die US-Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste stuft ein baldiges Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine als unwahrscheinlich ein. Russland werde seine aggressive Taktik wahrscheinlich fortsetzen, sagte Avril Haines vor dem Streitkräfteausschuss des Senats. Es habe seine Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur verstärkt, um die Regierung in Kiew daran zu hindern, Waffen und Truppen an die Front zu verlegen.
  • Nach Angaben des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba ist bereits die Hälfte des Energiesystems des Landes durch russische Angriffe beschädigt worden. Russische ballistische Raketen seien für sein Land ein echtes Problem in diesem Krieg, so Kuleba. In letzter Zeit habe Russland sie vor allem eingesetzt, um das Energiesystem der Ukraine zu zerstören.
  • Ein ukrainischer Drohnenangriff hat nach russischen Angaben die Energieinfrastruktur in der zentralrussischen Region Orjol beschädigt und zu Stromausfällen geführt. Die Schäden seien entstanden, als Luftabwehreinheiten die Drohnen über den Bezirken Glasunowski und Swerdlowskaja abgefangen hätten, schreibt der Gouverneur der Region, Andrej Klitschkow, aus Telegram. Über Tote oder Verletzte machte er keine Angaben.
  • Bei einem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hafenstadt Odessa sind in der Nacht zum Donnerstag ukrainischen Angaben zufolge rund ein Dutzend Menschen verletzt worden. Der Bürgermeister von Odessa, Hennadij Truchanow, erklärte im Onlinedienst Telegram, durch den Angriff sei zivile Infrastruktur zerstört worden, es gebe 13 Verletzte.
  • Estlands Außenminister Margus Tsahkna hat dem benachbarten Russland vorgeworfen, für die schon seit länger auftretenden Störungen des GPS-Signals im Ostseeraum verantwortlich zu sein. „Wir wissen, dass Russland seit Beginn seiner Aggression in der Ukraine das GPS-Signal stört. In den letzten anderthalb Jahren ist dieses Problem in unserer Region sehr ernst geworden“, sagte Tshanka am Donnerstag im estnischen Fernsehen. Mehr dazu hier.

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