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Liedermacher und Spielmann. Reinhard Mey nimmt seine Zuhörer mit auf die Reise durch sein Leben.

© Swen Pförtner/dpa

Ein Abend mit Reinhard Mey: Es wird doch noch mal viertel vor sieben

Der Barde lädt seine 7000 enthusiastischen Zuhörer in sein imaginäres Zuhause ein – gebaut aus Werten, gutem Willen und Zuversicht.

Aufbruch um viertel vor sieben. Es ist Sonnabend, und Reinhard Mey spielt endlich sein in um ein Jahr verschobenes Konzert zu dem Album „Das Haus an der Ampel“.

In der S-Bahn Richtung Warschauer Straße sinnieren die Umsitzenden darüber, ob er wohl seine Antikriegslieder singen wird, „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“ oder „Es ist an der Zeit“. Tut er nicht an diesem Abend. Er geht tiefer.

Es ist immer wieder verblüffend zu erleben, wie prompt es Reinhard Mey gelingt, eine fast intime familiäre Atmosphäre zu schaffen, selbst in einer riesigen Halle. Immerhin sind in der Mercedes-Benz-Arena rund 7000 Leute versammelt.

Orpheus steht am Anfang

Und doch füllt der Mann, der mit seiner Gitarre ganz allein ist auf der Bühne steht, den Raum bis in die hinteren Ränge. Fit wirkt er, unglaublich präsent. Die Stimme ist immer noch stark und ausdrucksvoll.

Ohne erkennbare Wehmut stellt er an den Anfang zwei Rückblicke auf die Zeit, als er an sich glauben musste, um tun zu können, was den deutschsprachigen Liederschatz bis weit in die Zukunft bereichern wird. „Ich wollte wie Orpheus singen“, den ersten Song des Abends, bringt er seit fast 60 Jahren auf die Bühne.

Das schöne Lied vom Spielmann muss etwas später auch wieder sein; wie er sich gegen alle Einwände, Sorgen, Klischees und Vorurteile durchgesetzt hat. Den kleinen, ironischen Triumph gönnt er sich immer noch gern.

Rückkehr zu den Eltern

Reinhard Mey ist in vielen seiner Alben zurückgegangen in der Zeit, hat auf die Kindheit geblickt, wie jetzt auf das Elternhaus an der Ampel, vor dem er kurz anhält, um den Eltern „auf dem Wolkenthron“ zu erzählen, was geworden ist aus den Kindern Max und Lulu und Fred, und dass sie jetzt Großenkel haben, „die singen und tanzen und malen den lieben langen Tag“. Man hält es für möglich, dass er tatsächlich manchmal dort anhält.

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Der sonst, was Öffentlichkeit betrifft, so zurückhaltende Künstler erzählt bestens gelaunt, dass er sich nie hätte träumen lassen, mal in der Arena „meiner lieben Eisbären“ aufzutreten.

Und wie er sich nach der wegen Corona kurzfristig notwendig gewordenen Absage der Tournee im vergangenen Jahr ins Wohnzimmer gestellt und Gitarre gespielt hat, vor dem inneren Auge die Gesichter des Publikums heute Abend und sich die Familie fast Sorgen gemacht hat.

Memoiren in den „Hörbüchern“

Er erzählt, wie Verlage ihn drängen, endlich seine Memoiren zu schreiben, er sei doch auf der Zielgraden. Es eile. Diesem Publikum, das er alle paar Jahre um seinen imaginären Küchentisch versammelt, braucht er wirklich nicht zu erläutern, dass er ja schon 3000 bis 4000 Seiten gefüllt hat mit seinen etwa 600 Liedern, „den Hörbüchern“, wie er sie jetzt ironisch nennt. Vom schulreifen Reclam-Heft, das kürzlich erschienen ist, gar nicht zu reden.

Er singt nicht seine größten Hits an diesem Abend, aber einige seiner schönsten Lieder, darunter „Ich liebe dich“ und die Erinnerung an Etienne.

Tante Ilse auf Promotion-Tour

Er erinnert sich an die Anfänge, an Tante Ilse, die in Reinickendorfer Plattenläden nach seiner ersten LP gefragt hat, um den Verkauf anzukurbeln, an den Durchbruch „In Wien“. Er singt vom Glück, „wenn du Freunde hast“.

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Und von Lied zu Lied wird deutlicher, dass hier nicht einfach nur Fans versammelt sind, die ihre Tickets ein Jahr lang gehütet haben für diesen Abend, sondern eine Art Wertegemeinschaft. „Wir haben jedem Kind ein Haus gegeben“, das können hier wohl viele unterschreiben, Fernweh und Lebenslust als Kompass, Zuversicht als Anker.

Wie Kreise sich schließen

Aus Kindern, die so aufwachsen oder auch so, wie Reinhard Mey selbst es von sich immer wieder besungen hat, können eigentlich nur friedliebende Menschen werden, ob sie sich das Etikett Pazifist nun anheften oder nicht. Auf jeden Fall Menschen guten Willens.

Das Lied von der ersten Stunde kommt auch noch. Und gleich danach „Dann mach’s gut“ über die letzte unbeschwerte Begegnung mit dem verstorbenen Sohn: „Wir begreifen unser Glück erst, wenn wir es von draußen sehen.“ Auch Lustiges über den Blender Dieter Malinek oder den Lebensbund mit dem Hund hat er eingewoben ins Programm.

Dank an die Freunde

Früher ging er immer bewusst sparsam um mit den übermächtigen Liedern, die das Publikum am liebsten mitsingt: „Über den Wolken“ und „Gute Nacht, Freunde“. Diesmal schenkt er sie im Zugaben-Teil beide her.

Und zwischen den beiden Evergreens singt er tatsächlich „Manchmal wünscht‘ ich, es wär‘ nochmal viertel vor sieben/ Und ich wünschte, ich käme nach Haus!“. Ja, das Fell mag dünner werden und leerer der Becher, und auch der Zaubertrank wirkt vielleicht nur noch schwer.

Aber wie glücklich trotz aller finsterer Stunden ein Mensch sein muss, der dann mit 79 Jahren doch auch singen kann: „Übers Pflaster rollt klingend mein Becher – leer. Ich hab‘ alles gehabt – was will ich mehr!“

Vielleicht will er einfach noch mal durchstarten. „Ihr müsst jetzt gehen. Damit ihr wiederkommen könnt.“ Das Zitat von Pippi Langstrumpf entfacht jedenfalls Vorfreude auf künftige Tourneezugaben.

Jubelnder Applaus, stehende Ovation, klar, am Ende eines großen Abends. Ein bisschen davon hat vielleicht auch den Eltern gehört, die das Haus an der Ampel mit so viel Wärme und Zuversicht gefüllt haben.

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